(Bildquelle: Pixabay)
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Reval - Dem kleinen Estland macht in Sachen eGovernment kaum jemand etwas vor. Weltweit hat kaum ein Land die Digitalisierung seiner öffentlichen Verwaltung so erfolgreich und konsequent vorangetrieben wie der kleine baltische Staat mit seinen nur 1,4 Millionen Einwohnern. Stolz verkündet man, dass man nur noch aus einem einzigen Grund persönlich auf dem Amt erscheinen müsse: um sich gegenüber dem Standesbeamten das Ja – Wort zu geben. Und natürlich auch, um sich wieder scheiden zu lassen.

Alle anderen Verwaltungsmaßnahmen wie An-, Ab- und Ummeldungen, Bauanträge oder Steuererklärungen können digital eingereicht und bearbeitet werden. Insgesamt werden damit 99 Prozent aller Verwaltungsdienstleistungen digital.

Vorbereitet wurde das umfassende Regierungsprogramm „Tilgrihüpe (Tigersprung) bereits in den 1990er Jahren. Seitdem wurde Estland systematisch digitalisiert und hat damit weltweit eine Führungsposition eingenommen.

Begonnen hat man mit der Digitalisierung im Bankensektor, um Bankdienstleistungen neu zu entwickeln. Mit der Bürgerkarte wird die digitale Identität einer physischen Person zugeordnet und kann damit als Ausweis, Führerschein und Versichertenkarte benutzt werden. Die digitale Justiz wird über ein Court Information System organisiert und Gerichtsverfahren, Verhandlungstermine und Urteile verwaltet. Die Gründung eines Unternehmens dauert in Estland üblicherweise nur 3 Stunden. Und eine private Steuererklärung ist im Allgemeinen in 5 Minuten online ausgefüllt. Universitäten und Schulen bieten ebenso wie Bibliotheken Internetschulungen an. Selbstverständlich gibt es auch eine e-Health – Strategie, die von einer ePA (elektronischen Patientenakte) bis zum eRezept reicht.

Damit hat Estland weltweit einen Standard gesetzt, der vielen insbesondere skandinavischen Ländern längst als Vorbild gilt. Doch auch Irland, Großbritannien, Belgien, Österreich und andere Länder gelten in vielen Bereichen der Digitalisierung als schrittangebend.  Lediglich Deutschland liegt hier sowohl im europäischen als auch im weltweiten Vergleich bestenfalls auf einem mittleren Platz. Sicherlich erschweren Großindustrien, eine größere Fläche und eine höhere Bevölkerungszahl eine Digitalisierung in diesem Umfange. Gleichzeitig ist das Angebot von flächendeckendem Mobilnetz mit 3- und 4-G – Standard und der Einführung von 5 G in Estland ebenso selbstverständlich wie der vollständige Breitbandausbau.

Der Pioniergeist der Esten hat bereits vor ein paar Jahren die deutsche Bundesregierung und hier Kanzlerin Angela Merkel zu einem Besuch in Tallinn veranlasst. Passiert ist in Deutschland seitdem allerdings wenig. Während die Esten großen Wert auf unternehmerische Freiheit und Deregulierung legen und die Digitalisierung als Chance betrachten, kämpft Deutschland mittlerweile mit einer Innovationsängstlichkeit. Hinzu kommt der schleppende Ausbau von Breitband und 5G sowie rechtliche Hürden beim Datenschutz. Zusätzlich erschwert das föderale System in Deutschland eine einheitliche Entwicklung. Mangelndem politischer Willen und unzureichende Investition in Infrastruktur werfen Deutschland hier weiter zurück.

Als Beispiel könnte neben Estland aber auch Großbritannien gelten, wo viele Verwaltungsprozesse bereits digital ablaufen und sich insbesondere durch eine hohe Nutzerfreundlichkeit auszeichnen. Insbesondere für klein- und mittelständische Betriebe wäre eine schlankere und stärker digitalisierte Verwaltung von Vorteil, insbesondere auch während der Maßnahmen in der Corona-Pandemie.

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