Sitzt man bei ARD und ZDF wirklich noch in der „ersten Reihe“? Kaum!
Sitzt man bei ARD und ZDF wirklich noch in der „ersten Reihe“? Kaum!

Der  Öffentlich-rechtliche Rundfunk muss

 reformiert werden!


von Jörn Kruse


1     Einleitung


Der öffentliche Rundfunk (ÖRR), seine institutionellen Strukturen und die Finanzierung seiner immens hohen Kosten sind seit langer Zeit ein gesellschaftspolitisches Thema, und zwar nicht nur in Deutschland. Vor kurzem wurde bekannt, dass die britische BBC, quasi das Vorbild für ähnliche Anstaltern in verschiedenen Ländern, im Laufe der nächsten Jahre grundlegend reformiert und ab 2027 auf eine andere Weise finanziert werden soll.   

Obwohl auch in Deutschland zahlreiche ÖRR-Probleme seit langem evident sind, hat das egoistische Zusammenspiel der massiven Interessen der Insider der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der Politiker, die ebenfalls zu den Nutznießern des Statusquo gehören, über Jahrzehnte jede Reform verhindert.

Die einzige Chance, mit rationalen Argumenten eine gesellschaftliche Diskussion zu führen, die eine Reform im Sinne der Bürger zur Folge haben kann, besteht praktisch immer nur dann, wenn die Anstalten eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages erreichen wollen, da dann alle Bundesländer einer Änderung des Staatsvertrages zustimmen müssen.

Sachsen-Anhalt, das schon seit langem Reformen angemahnt hatte, war zu einer solchen Zustimmung 2020 nicht bereit. Die drei größten Fraktionen des Landtages (77% aller Sitze) waren gegen eine Erhöhung, was als Votum für Reformschritte gelten kann. Als keine Mehrheit absehbar war, hat Ministerpräsident Haseloff den Antrag von der Tagesordnung genommen. Völlig überraschend und verfassungspolitisch fragwürdig hat das Bundesverfassungsgericht dann  - obwohl keinerlei Zeitdruck ersichtlich war  -  schon vor einer erneuten Diskussion zwischen den Bundesländern den Antrag durchgewunken, so dass eine Reformchance vertan wurde. 

Eine grundsätzliche Neuordnung ist beim öffentlichen Rundfunk in Deutschland dringend erforderlich, was aufgrund des staatlichen Charakters der Anstalten problemlos möglich wäre, sofern der politische Wille existierte. Aus ökonomischer Sicht stellen die Rundfunkanstalten heute (d.h. nicht von Anfang an, Abschnitt 2) Fremdkörper in unserem marktwirtschaftlichen System dar. Deshalb sind viele Ökonomen der Auffassung, man sollte die Anstalten und die Rundfunkbeiträge glattweg abschaffen. Dieser Meinung einiger Fachkollegen werde ich mich hier nicht anschließen. Gleichwohl sehe auch ich gravierenden Reformbedarf.      

Dieser wird im Folgenden in vier Abschnitten erörtert. Abschnitt 2 behandelt die ordnungspolitischen Grundlagen des öffentlichen Rundfunk, Abschnitt 3 die Folgen für die anderen Medienunternehmen und Abschnitt 4 die Rolle der Politiker als Teil des Problems und als Teil der Lösung. Abschnitt 5 skizziert eine Reform der institutionellen Struktur und der Finanzierung des öffentlichen Rundfunks.


2     Ordnungspolitik im Rundfunk


Die Bürger in Deutschland verdanken ihren Wohlstand generell der Marktwirtschaft, die auf Wettbewerb und Privateigentum basiert. Jede Ausnahme, das heißt jeder staatliche Eingriff in einzelne Märkte, bedarf der ökonomischen Begründung. Dies gilt auch für den Rundfunk, also Hörfunk und Fernsehen. 

Für die Nichtzulassung von Privateigentum und für die alternative Installierung eines staatlichen Rundfunksystems und zur Einführung einer steuerähnlichen Finanzierung[1] zu Beginn der Bundesrepublik hat sich die Relevanz der Begründungen schon aus technischen und ökonomischen Gründen stark gewandelt, sofern diese jemals hinreichend waren. Davon sind vier erwähnungsbedürftig, nämlich die Kanalknappheit, das Versagen des Ausschlussprinzips, die Meritorik und die publizistische Vielfalt. Einige Begründungen sind inzwischen entfallen, jedoch nicht alle. 

Kanalknappheit

Die Knappheit der Distributionswege zu den Zuschauern, die sich allerdings nur auf die terrestrische Übertragung (Antennenfernsehen) bezog, war anfangs wegen begrenzter Frequenzen ein gängiges Argument, das dennoch keine ökonomische Begründung lieferte, privaten, werbefinanzierten Programmen den Markteintritt unmöglich zu machen. Nach dem Aufkommen von Kabelfernsehnetzen, Satellitendistribution und der Nutzbarkeit des Internet über die Telekommunikationsnetze ist das Argument der Kanalknappheit gänzlich obsolet geworden. 

Versagen des Ausschlussprinzips

Die Anwendung des Ausschlussprinzips, das in einer Marktwirtschaft normalerweise die Basis jedes Geschäftsmodells darstellt, war für ein Fernsehprogramm im engeren Sinne aufgrund der analogen terrestrischen Übertragungs- und Empfangstechnik (Antennenfernsehen) über lange Zeit nicht gegeben. Das heißt, auch die Nichtzahler konnten nicht vom Konsum ausgeschlossen werden, so dass kein Preis zur Kostendeckung erhoben werden konnte. 

Allerdings war es für eine komplementäre Dienstleistung anwendbar, nämlich die Erzeugung von Aufmerksamkeit für Werbebotschaften, für die die Werbetreibenden eine hinreichend hohe Zahlungsbereitschaft hatten. Durch eine solche Werbefinanzierung funktionierte das private Fernsehen als Massenmedium seit den 50er Jahren zunehmend in weiten Teilen der Welt, wenngleich die Zuschauer regelmäßige Unterbrechungen durch Werbespots tolerieren mussten. Wenn man (wie der Verfasser) der Auffassung ist, dass z.B. ein bestimmter Spielfilm mit und ohne Unterbrecherwerbung als zwei verschiedene Dienstleistungen gewertet werden müssen, wirft die Art der Finanzierung Fragen auf. 

In Deutschland erfolgte die Zulassung privater Fernsehveranstalter, die durch Werbung finanziert wurden, erst in den 80er Jahren, und auch dann nur sehr restriktiv. Vorher wurde das private Fernsehen von den Politikern verhindert, weil sie die öffentlich-rechtlichen Anstalten vor Konkurrenz zu schützen wollten, bei denen sie selbst die Kontrolle über Strukturen und Programme hatten. Bis heute sind alle Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten ganz überwiegend mit Parteipolitikern besetzt.

Spätestens seit der Entstehung des digitalen Fernsehens ist das Ausschlussprinzips für ganze Fernsehprogramme und gegebenenfalls für einzelne Teile davon (z.B. Spielfilme) ubiquitär anwendbar, so dass die normalen Marktmechanismen uneingeschränkt funktionieren würden. Von einem Marktversagen kann also bei Hörfunk und Fernsehen schon lange nicht mehr die Rede sein.  

Meritorik

Unter Meritorik werden Sachverhalte verstanden, bei denen individuelle Nachfrageentscheidungen auf der Basis kollektiver (d.h. politischer) Wertungen als korrekturbedürftig angesehen werden. Zahlreiche Argumente für die Existenz und den Schutz öffentlicher Fernsehprogramme beziehen sich auf die vermuteten Sendeinhalte von Privaten, die nach Meinung des Staates bzw. der Politiker korrigiert und/oder durch zusätzliche Angebote ergänzt werden sollten. Additive meritorische Programmangebote sind normativ grundsätzlich genauso gut begründbar wie z.B. staatliche Schulen und Kulturförderung.

Staatliche Eingriffe können sich beim Fernsehen auf unakzeptable Qualitäten und Botschaften, mangelnde Angebote von Sendungen über Politik, Kultur etc. beziehen oder auf einseitige Berichterstattungen z.B. über politische Themen und Akteure. Solche Sachverhalte sind insbesondere dann relevant, wenn die Rechtsordnung den privatwirtschaftlichen Erwerb von Anbietern von  Fernsehprogrammen auch solchen Personen oder Organisationen ermöglicht, die nicht nur  wirtschaftliche Ziele (z.B. Gewinne) anstreben, sondern z.B. die inhaltliche Manipulation der öffentlichen Meinung. Deshalb sind auch Unternehmensfusionen auf Rundfunkmärkten grundsätzlich deutlich kritischer zu sehen als auf Märkten für Käse oder Laptops. 

Das Konzept der Meritorik ist in der wissenschaftlichen Ökonomie stark umstritten, weil es notwendigerweise paternalistisch ist. Das heißt, eine kollektive Instanz (in der Regel die Regierung) maßt sich überlegene Einsichten bezüglich der Konsumwahl von Konsumenten  an, was zwar bei der Kindererziehung und für den Drogenkonsum akzeptabel erscheint, aber nicht gegenüber mündigen Bürgern. Die Beispiele weisen schon darauf hin, dass die Meritorik in diesem Sinne auch die Vermeidung negativer externer Effekte von TV-Konsum auf Jugendliche oder weniger informierte und weniger kritikfähige Bürger umfassen kann, z.B. die Auswirkungen von fake news auf wirtschaftliche oder politische Entscheidungen der Bürger. Derartige Regulierungsziele werden vermutlich von den meisten Bürgern akzeptiert. 

Allerdings liefert die Meritorik ihrerseits häufig ein Einfallstor für Eingriffe, die ebenfalls nicht immer wohlmeinend, sondern durch wirtschaftliche und/oder politische Partialinteressen motiviert sind. Das heißt, die Meritorik ist ebenso anfällig für einen Mißbrauch wie die Ausgangssituation, die den Eingriff begründen sollte. Dies erfordert damit besonders adäquate  institutionelle Regeln, und zwar umso stärker, je konzentrierter die Programmebene ist.  

Publizistische Vielfalt

Die publizistische Vielfalt ist ein weitgehend akzeptiertes Ziel der Medienpolitik, wenngleich es ebenfalls nicht präzise definiert ist. Es bezieht sich nicht auf die Elemente einzelner Programme, sondern auf das gesamte TV-Angebot für die Zuschauer und umfasst die konsumtive, die meritorische und die institutionelle Vielfalt.

Die konsumtive Vielfalt bezieht sich auf die präferenzrelevanten Merkmale bei der Programmwahl der einzelnen Zuschauer, ist also gleichbedeutend mit einer großen Auswahl beim Konsum. Bezüglich der Unterhaltungselemente ist diese seit einiger Zeit umfangreich vorhanden, da nicht nur werbefinanzierte, öffentliche und Pay-Programme existieren, sondern auch Streaming-Dienste mit großen Wahlmöglichkeiten.   

Schwieriger ist es mit der meritorischen Vielfalt, die sich auf Eigenschaften und Wirkungen des Fernsehens auf die (auch politische) Meinungsbildung, Beeinflussung gesellschaftlicher Wertvorstellungen, etc. bezieht. Die meritorische Vielfalt deckt sich partiell mit dem Begriff der Meinungspluralität. 

Die institutionelle Vielfalt umfasst die Zahl und die Heterogenität der eigenständigen Programmveranstalter, die nicht nur die konsumtive sondern auch die meritorische Vielfalt positiv beeinflusst. Diese beinhaltet eine weitgehende Unabhängigkeit der Entscheidungsträger der einzelnen Programme, das heißt das Fehlen einer hohen Konzentration der Anbieterunternehmen. Die institutionelle Vielfalt wird auch dadurch reduziert, dass die marktmächtigen und einflussreichen öffentlich-rechtlichen Anstalten die gleichen Strukturen aufweisen und von den gleichen Parteien dominiert werden.   

Je größer die publizistische Vielfalt ist, desto weniger sind meritorische Regulierungen von einzelnen Programmen zu rechtfertigen (außer zur Vermeidung negativer externer  Effekte). Wenn z.B. mehrere TV-Programme linke, liberale, konservative und/oder unpolitische Grundausrichtungen haben, ist die Forderung politischer Ausgewogenheit an einzelne Programme obsolet. Ob ein rein marktwirtschaftliches, privates Rundfunksystem (finanziert durch Werbung und Abonnements) bezüglich der publizistischen Vielfalt schlechter abschneiden würde als das gegenwärtige öffentlich-rechtliche System in Deutschland (Abschnitt 4) kann man zu Recht in Zweifel ziehen.

Ordnungspolitische Begründungen für den öffentlichen Rundfunk   

Als grundsätzlich valide Argumente für die Rundfunkanstalten und die damit verbundene Erhebung von steuerähnlichen Rundfunkbeitragen verbleiben überhaupt nur die Meritorik und die publizistische Vielfalt. Ob der im 21. Jahrhundert real existierende öffentliche Rundfunksektor in Deutschland allerdings diesen Kriterien entspricht, ist eine relevante und notwendige Frage. Werden vielleicht die vermuteten Probleme nur durch andere ersetzt? 

 

3     Folgen für die anderen Medienunternehmen


Da die öffentlichen Rundfunkanstalten anfangs ein staatlich garantiertes Monopol für Hörfunk und Fernsehen hatten, haben ihre Vertreter in der politischen Diskussion um die Zulassung privater Programmveranstalter letztere als profitorientierte Kapitalisten zu disqualifizieren versucht, während sie selbst ganz uneigennützig dem Publikum die „guten, wahren und schönen“  Sendungen offeriert haben. Ein solches Unverständnis für die Logik marktwirtschaftlicher Prozesse und Ergebnisse hat nicht selten auch die Rundfunkurteile der ausschließlich juristisch sozialisierten Verfassungsrichter geprägt. Die medienpolitische Frontstellung gegen die wirtschaftliche Basis der privaten Anbieter zur Verteidigung ihrer eigenen Dominanz ist ein Kennzeichen der Rundfunkanstalten, und war und ist auch bei den Politikern, die ebenfalls überwiegend juristisch (und nicht ökonomisch oder unternehmerisch) oder durch den öffentlichen Dienst sozialisiert sind, meistens erfolgreich.  

Während die staatlichen Rundfunkanstalten die Rundfunkbeiträge bequem wie Steuern vereinnahmen können, müssen die privaten Veranstalter jeden Euro, den sie für Programmeinkäufe, technische Infrastrukturen, Senderechte und Gehälter ausgeben wollen, zunächst auf den wettbewerbsintensiven Werbemärkten erwirtschaften. Ihre Programme, deren Zuschauerattraktivität ihre Erlöse bestimmt, haben zudem den systemimmanenten Nachteil, dass sie den Sendefluss regelmäßig mit Werbespots unterbrechen müssen. Alternativ dazu müssen sie zahlreiche Abonnementverträge abschließen, was im Gratis-Umfeld des Fernsehens nicht so einfach ist.      

Konkurrenz um Fernsehzeit und Printkonsum

Die Anstalten haben im Laufe der Zeit die Zahl ihrer Hörfunk- und Fernsehprogramme (unabhängig von Qualität und Erfordernis) immer weiter erhöht. Während die vielen „dritten Programme“ ursprünglich nur als „regional“ und „inhaltlich anspruchsvoll“ begründet und konzipiert wurden, sind sie im Laufe der Zeit zu ganz normalen Standardprogrammen verändert worden und sind heute von allen Zuschauern in Deutschland regions-unabhängig konsumierbar. Dies erhöht offensichtlich die Zahl der Konkurrenten der privaten Programme und reduziert deren durchschnittliche Einschaltquoten selbst dann, wenn es sich überwiegend um die Wiederholung von Standardmaterial handelt. Später wurden noch weitere Programme (u.a. 3Sat, EinsPlus, ZDF Neo, Phönix, Arte, Kika) hinzugefügt, die ebenfalls direkte Konsumkonkurrenten für die Privaten sind und deren Erlöse reduzieren. Die Angebote der Mediatheken der öffentlichen Programme stellen ebenfalls Substitute dar. 

Konkurrenz zu Presseverlagen

Die privatwirtschaftlichen Presseverlage für Zeitungen und Zeitschriften leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur publizistischen Vielfalt und zur Meinungspluralität in der Gesellschaft. Da die Auflagen ihrer Printobjekte rückläufig sind und damit ihr Geschäftsmodell gefährdet ist, sind die Verlage zunehmend auf die Vermarktung ihrer journalistischen Produkte über das Internet angewiesen.

Hier sind die Rundfunkanstalten jedoch ebenfalls tätig. Ihre Internetangebote für Nachrichten etc. sind direkte Substitute und eine Konkurrenz für die Webseiten der Presseverlage. Da es sich bei den Rundfunkbeiträgen quasi um eine Steuer handelt, ist die dadurch ermöglichte Quersubventionierung der Webseiten der Anstalten eine wettbewerbswidrige Beihilfe, die normalerweise von den Wettbewerbsbehörden untersagt würde, was die deutschen Politiker offenbar bewusst übersehen. 

Konkurrenz um Werbe-Budgets 

Die privaten Programme stehen nicht nur untereinander in intensivem Wettbewerb um die Budgets der werbetreibenden Wirtschaft, sondern auch mit ARD und ZDF insbesondere zur einschaltquotenstarken Frühabendzeit. Wenn man bedenkt, dass diese Programme bereits durch steuerähnliche Rundfunkbeiträge finanziert werden, sind zusätzliche Werbeeinnahmen, die für die privaten Anbieter die zentrale Erlösquelle darstellen, von der ihre Existenz abhängt, in einer dualen Rundfunkordnung systemwidrig und wettbewerbsverzerrend. Werbung in öffentlichen Programmen sollte deshalb abgeschafft werden.    

Konkurrenz um Programm-Inputs 

Ein bedeutsames Feld der Interdependenz zwischen den staatlichen Fernsehanstaltern und den privaten Rundfunkunternehmen betrifft die Konkurrenz um Programm-Inputfaktoren. Dies ist vor allem für solche Faktoren, Programm-Software (z.B. Spielfilme) oder Senderechte (z.B. für Top-Sportveranstaltungen) von großer Bedeutung, die für die Einschaltquoten besonders relevant sind. Dies gilt in erhöhtem Maße für außergewöhnlich zuschauerattraktive Sendeelemente (Positionalgüter), die eine herausragende Bedeutung für die Einschaltquoten und für die öffentliche Sichtbarkeit eines Programms haben, z.B Fußball-Bundesliga, Olympiaden, Meisterschaften in zuschauerattraktiven Sportarten etc.

Solche Inputfaktoren sind auf kommerziellen Medienmärkten besonders teuer, weil davon hohe Einschaltquoten und entsprechende Werbeerlöse erwartet werden. Hinzu kommt die zusätzliche Nachfrage der öffentlichen Programme, die die Preise weiter nach oben treibt. Dies wiederum ist ein Vorteil ausschließlich für die Spielergehälter von Bayern München, Chelsea etc., ohne dass das TV-Produkt dadurch qualitativ besser würde.

Allerdings lässt sich die Aufwendung von erheblichen Finanzmiteln aus dem Rundfunkbeitrag für derartige Programmelemente keinesfalls rechtfertigen. Die Zuschauerattraktivität der Inhalte sorgt dafür, dass diese in jedem Fall in einem oder mehreren privaten Programmen (werbefinanziert oder Pay-TV) angeboten würden. Durch einen Verzicht auf solche Inputs könnten die öffentlich-rechtlichen Anstalten sehr viele Sendestunden mit meritorischer Qualität finanzieren  --  oder die Rundfunkbeiträge senken.   


4     Politiker als Teil des Problems und als Teil der Lösung


Bei seiner Gründung gab es das Leitbild, den öffentlichen Rundfunk nicht als staatlichen Rundfunk zu organisieren. Herausgekommen ist dabei eine institutionelle Struktur, bei der die Parteien (direkt und indirekt) praktisch alle Aufsichtsgremien dominieren, so dass man heute von einem „Parteienrundfunk“ sprechen kann, was auch nicht staatsferner ist. Die meisten Mitglieder der Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten (auch solche, die von anderen Organisationen benannt werden) gehören zum Interessenkontext bestimmter Parteien.

Gravierende Auswirkungen hat dies vor allem für die Personalentscheidungen bei allen programmlichen Führungspositionen. Diese sind wichtige Einflussweg der Parteien. Jeder Intendant und jeder Fernsehjournalist weiß, mit welchen Programmelementen und mit welchen inhaltlichen Aussagen er seine Karriere fördern und mit welchen er sie erschweren würde. Die normative Begründung und die Funktionalität der öffentlich-rechtlichen Programme, die eine dominierende Meinungsmacht haben, ist jedoch erheblich gefährdet, wenn die Parteien direkt oder indirekt Einfluss auf die Personalentscheidungen haben. 

Interessen von Insidern und Parteipolitikern    

Die politische Ausrichtung in Sendungen, Programmen, Kommentaren etc (bis hin zu Unterhaltungsformaten) wird inzwischen von sehr vielen Beobachtern in der Gesamtheit als einseitig wahrgenommen. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass die meisten  Redakteure und Programmverantwortlichen eine eher grüne und/oder linke Orientierung haben. Viele Bürger kritisieren auch einen erstaunlichen Mangel an Kritikfähigkeit und/oder Kritikwilligkeit an den jeweiligen Regierungen in Bund und Ländern und an der Politischen Klasse insgesamt. Dies ist für ein derartiges Medium ungewöhnlich und widerspricht dessen Selbstverständnis fundamental. Offensichtlich wissen die Kommentatoren jederzeit, dass in den Aufsichtsgremien, die über ihre Karrieren und Gehälter entscheiden, Parteivertreter sitzen.

Die Parteipolitiker entscheiden außerdem über die Rundfunkbeiträge und die Werberegeln, die für die Budgets der Rundfunkanstalten von zentraler Bedeutung sind. Der Zusammenhang zwischen den finanzwirksamen Entscheidungen der Politiker und den Programminhalten ist den Rundfunkanstalten sehr wohl bewusst. Die Einschaltquotenorientierung, die statt einer meritorischen Programmpolitik zu beobachten ist, wird von den Rundfunkanstalten selbst damit begründet, dass sinkende Einschaltquoten die Unterstützung der Politiker bei budgetwirksamen Entscheidungen reduzieren würden. Geringere Einnahmen aus Rundfunkbeiträgen und Werbung reduzieren die programmlichen Möglichkeiten und die Einkommen der Insider. 

Andererseits sind die  Parteipolitiker ihrerseits von der medialen Darstellung und Kommentierung ihrer Politik abhängig, was insbesondere vor Wahlen von erstrangiger Bedeutung ist. Folglich scheuen sie vor Reformschritten und Budgetkürzungen zurück, was jahrzehntelange Expansionstrategien auf Kosten der Beitragszahler und der anderen Medienunternehmen überhaupt erst möglich gemacht hat. 

Die verschiedenen öffentlich-rechtlichen Programme unterliegen alle im Wesentlichen der gleichen institutionellen Struktur. Diese wird von wenigen Parteien dominiert, die zum kleinsten gemeinsamen Nenner eines öffentlich-rechtlichen Mainstreams neigen. Insofern überrascht es nicht, dass von einer Pluralität von normativen Bezugspunkten und einer Vielfalt politischer Positionen nicht die Rede sein kann. Statt die Zuschauer über die verschiedenen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Positionen zu informieren und diese zu reflektieren, tragen die öffentlich-rechtlichen Programme eher zur Einengung des Diskursraumes bei. Wenngleich eine konsumtive Vielfalt bei den Programmen durchaus vorhanden ist, gilt dies für die meritorische Vielfalt (Meinungspluralität) nicht  --  bzw. nur ansatzweise in Talkshows durch externe Gäste. 

Belehrungsfernsehen

Was viele Programme gemeinsam haben, ist eine ausgeprägte Tendenz zur Staatspädagogik. Viele Bürger verstehen ARD und ZDF inzwischen als „Belehrungsfernsehen“. Gegenüber erwachsenen Bürgern, die hinsichtlich ihres Bildungsniveaus den einschlägigen Journalisten sicher nicht nachstehen, ist das eine arrogante Anmaßung. Die Infantilisierung des Publikums und seine Erziehung zu „richtigem“ Denken und Verhalten gehört gewiss nicht zum Programmauftrag. Dies basiert auf der gleichen Überheblichkeit, die auch zu dem Framing-Versuch der Anstalten geführt hat, die Rundfunkbeiträge als „Demokratieabgabe“ zu bezeichnen.

Politiker als Teil der Lösung

Aber die Parteipolitiker sind nicht nur Teil des Problems, sie müssen auch Teil der Lösung sein, da nur die Parlamente die überfälligen Reformen des deutschen Rundfunksystems umsetzen können. Welche das im Einzelnen sein sollen, kann man am besten durch einen breiten gesellschaftlichen Diskurs ermitteln, der durch unabhängige externe Expertisen fachlich unterfüttert wird und nicht von defensiven Lobbyisten geprägt ist.       


5     Reform der institutionellen Struktur und der Finanzierung des öffentlichen Rundfunks


Bisher weist der öffentliche Rundfunk in Deutschand nach jahrzehntelangen Expansionsprozessen diverse Vielfachstrukturen mit hohen Kosten auf, die das Ergebnis der genannten Interessenkonstellationen zwischen Insidern und Politikern sind. Dies bezieht sich unter anderem auf die große Zahl von Fernseh- und Hörfunkprogrammen und auf sonstige Aktivitäten, die nicht mit dem Auftrag des öffentlichen Rundfunks zu begründen sind.

Dies gilt insbesondere für die positionalen und damit teuren Fernsehrechte für Top-Sportveranstaltungen und Unterhaltungs-Stars. Es gilt auch für einige grundsätzlich meritorisch begründbare z.B. kulturelle Aktivitäten, die nur das „falsche Budget“ belasten. Selbst wenn man als Kulturkonsument die Orchester o.ä. der öffentlichen Rundfunkanstalten schätzt und deren meritorische Qualität bejaht, gehört deren dauerhafte Finanzierung dennoch nicht zum Programmauftrag, der aus den Rundfunkbeiträgen zu bestreiten ist. Solche Kosten sollten dann von den staatlichen Kulturbudgets der Länder und des Bundes aus allgemeinen Steuermitteln getragen werden.

Effizientere Strukturen  

Die große Zahl von Rundfunkanstalten mit zum Teil ihrerseits mehreren Landesrundfunkanstalten entstammen der politischen Lage der 50er- und 60er-Jahre, als die Existenz bundesweiter Medienmärkte noch nicht als relevantes Kriterium galt, sondern die mediale Länderkompetenz im Vordergrund stand. Aufrechterhalten (und zum Teil noch ausgebaut) wurde dies durch die parteipolitischen Interessen einzelner Ministerpräsidenten. Im Ergebnis entstanden dadurch ineffiziente Organisations- und Produktions-Strukturen mit bürokratischen Prozessen und Positionen, die deutlich überhöhte Kosten erzeugen. Dies verlangt nach externen, unabhängigen Wirtschaftlichkeitsanalysen.     

Zahlreiche Aufgaben im technischen, administrativen und kaufmännischen Bereich könnten weit effizienter gestaltet werden, wenn sie in eigene operative Einheiten ausgegliedert und diese dann als Dienstleister für die Programmveranstalter tätig werden. Sie sollten in einem internen und externen Wettbewerb stehen, um für eine effiziente Leistungserbringung und für Innovationen zu sorgen. 

Programme und ihre Finanzierung  

Um ihre Existenz zu rechtfertigen müssen sich die öffentlichen Rundfunkangebote an einem Programmauftrag auf der normativen Basis von Meritorik und publizistischer Vielfalt (Abschnitt 2) orientieren. Sie sollten ausschließlich aus Rundfunkbeiträgen finanziert werden und keine Werbung enthalten. Alle Einwohner und weitere Organisationen wie bisher zu den Rundfunkbeiträgen heranzuziehen, ist zwar einfach und pauschal, aber ökonomisch wenig sinnvoll, da sehr viele Bürger diese Programme gar nicht konsumieren. Dies betrifft nicht nur die Zuschauer von werbefinanzierten Fernsehprogrammen. Viele Bürger sehen Spielfilme heute über Pay-TV oder Streaming-Dienste und informieren sich über die einschlägigen Webseiten im Internet.    

Ökonomisch deutlich vernünftiger wäre es, wenn sie nur von den Bürgern und anderen Nutzern finanziert werden, die diese Programme tatsächlich konsumieren oder für ihre Kunden oder Mitarbeiter anbieten. Dies setzt voraus, dass die tatsächlich vorhandene technische Infrastruktur es ermöglicht, Nichtzahler vom Konsum auszuschließen, was aufgrund der Digitalisierung problemlos möglich ist  

Die einzelnen öffentlichen Programme sollten sich von ihrer programmlichen und journalistischen Ausrichtung nicht nur von den privaten Angeboten, sondern auch  voneinander deutlich unterscheiden. Dies setzt voraus, dass die Programmentscheidungen weitgehend unabhängig voneinander getroffen werden und nicht einer gemeinsamen unternehmerischen  Führung unterliegen. Es erfordert außerdem eine dezentrale Personalhoheit für alle programmlichen und journalistischen Funktionen.

Die Zuteilung der Finanzmittel auf die einzelnen Programme erfolgt nicht primär nach Einschaltquoten, sondern vor allem nach qualitativen Merkmalen, die von einer Vielzahl von externen Beobachtern bewertet werden. Für die Rekrutierung von externen Bewertern wird auf eine größtmögliche Heterogenität hinsichtlich aller einschlägigen relevanten  Kriterien geachtet, vor allem auf meritorische Vielfalt und Meinungspluralität.

Das Gesamtangebot des öffentlichen Rundfunks hat auf diese Weise einen Pay-TV-Charakter. Falls die Erlöse aus den Abonnements (und gegebenenfalls Sponsorenbeiträgen) nicht ausreichen, lässt sich eine moderate Subventionierung aus Steuermitteln ebenso rechtfertigen wie bei Opernhäusern, Theater und Museen.   

Institutionelle Struktur 

Die öffentlichen Programme könnten in der Rechtsform einer Genossenschaft geführt werden, wobei jeder Beitragszahler ein Genosse ist. Das einschlägige Prinzip des „one Genosse, one vote“ betont den egalitären, eher politischen als kapitalistischen Charakter und schützt die Unternehmen vor unerwünschten Übernahmen. Gleichzeitig verhindert es nicht das wirtschaftlich rationale Verhalten auf den relevanten Input- und Output-Märkten.

Das oberste Entscheidungsgremium besteht aus einer „Generalversammlung“, das quasi ein Parlament der Abonnenten der öffentlichen Programme darstellt. Dieses erhält einen regional untergliederten Unterbau, um der regionalenHeterogenität Rechnung zu tragen und um die Nähe zu den Zuschauern zu verstärken. Die Generalversammlung wählt die operativen und die Aufsichtsgremien. Die programmlichen Entscheidungen werden von programm-spezifischen Ausschüssen getroffen, die aus Personen bestehen, die diese Programme tatsächlich konsumieren und die von der Generalversammlung gewählt werden.        

Die Kontrolle und Sicherstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen und sonstigen prozeduralen Regelungen und inhaltlichen Vorgaben erfolgt durch eine staatliche Medien-Regulierungsbehörde, die für öffentliche ebenso wie für private Anbieter zuständig ist und für faire Wettbewerbsbedingungen sorgt. 


 





[1]        Der Rundfunkbeitrag unterscheidet sich von einer normalen Steuer nur durch die Tatsache, dass die Einnahmen nicht in die allgemeinen Kassen des Staates fließen, sondern in die besonderen Budgets der Rundfunkanstalten. In der Anfangszeit, als die Zahlungspflicht der damaligen „Rundfunkgebühr“ an das Bereithalten eines Empfangsgerätes gebunden war, hätte man beim Angebot der Anstalten  auch von Pay-TV sprechen können.

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