Zurück in die Zukunft, ein Hollywood-Blockbuster, der das Lebensgefühl der 80er ausdrückt.
Zurück in die Zukunft, ein Hollywood-Blockbuster, der das Lebensgefühl der 80er ausdrückt.

von RAINER STENZENBERGER

BERLIN – Am vergangenen Freitag holte ich meine beiden Jüngsten wie immer von der Kita ab. Wegen eines Handwerkerbesuchs war ich recht spät dran, nur noch wenige Kinder und eine Erzieherin hielten sich im Garten auf. Dabei empfing mich ein lautstarker Song, der aus einer riesigen Box wummerte, die die Erzieherin ans Fenster geschoben hatte, damit auch die Nachbarschaft mithören konnte: „Wanna be startin‘ somethin'“ von Michael Jackson. Auf Anhieb bewegten sich mein Nacken und die Hüfte, die Mundwinkel zogen nach oben – physische Reflexe, gegen die ich mich nicht wehren konnte.

Am selben Abend leiteten wir, meine Frau und ich sowie zwei Freunde, das Wochenende ein. Zu diesem Ritual gehören meist drei Komponenten: Ein unterhaltsamer Film, mindestens eine Flasche Bourbon und Zigarren. Am längsten brauchen wir stets für die Entscheidung, welchen Film wir sehen wollen. Nach langem Hin und Her kamen „Predator“, „Red Heat“ und „Lethal Weapon (1)“ ins Finale und es gewann der Streifen mit Arnie und Belushi.

Zweimal Lebensfreude, zweimal 80er. Ein Zufall? Natürlich ist es auch eine Altersfrage, aber selbst meine Töchter in den Mittzwanzigern mögen die Kunst der 80er. Von der grellbunten, hemmungslos extrovertierten Optik bis zu den gutgelaunten Filmen und der legendären Musik.

Was macht diese Dekade so besonders, warum schnalzt man mit der Zunge, lächelt?

Die Kreativität entfaltete sich geradezu explosiv, insbesondere bei Filmen, Musik und Mode. Unterstützt wurde sie dabei von einer politischen Grundströmung, die auf Freiheit und Selbstbestimmung setzte, verkörpert durch charismatische Leitfiguren wie Ronald Reagan und Margaret Thatcher. In der Außenpolitik knallharte Kommunistenfresser setzten sie gesellschaftspolitisch auf Individualität und besagte Freiheit. Bei Reagan kamen noch Charme, Mutterwitz und Straßenschläue hinzu. Diese Rahmenbedingungen setzten überall Potenziale frei, die uns bis heute Freude bereiten.

FILME

In jedem einzelnen Jahr dieser kreativen Dekade wurden mehr Blockbuster produziert als in kompletten Jahrzehnten jüngerer Zeit. Darunter bis heute legendäre Reihen wie „Alien“, „Terminator“ oder „Predator“ bei Action Sci-Fi oder Lethal Weapon, „Beverly Hills Cop“ und „Die Hard“ bei realer Action. Daraus erwuchsen Superstars wie Arnold Schwarzenegger, Bruce Willis, Mel Gibson, Eddie Murphy, Harrison Ford und natürlich der unvergessliche Michael J. Fox als Marty McFly aus „Zurück in die Zukunft“.

Die meisten Actionstreifen kamen mit einem Augenzwinkern daher, wie sich überhaupt die 80er Filme selten bierernst nehmen. Man wollte einfach alles zugleich – Liebe, Sex, Spaß und Geld – das entsprach auch dem Lebensgefühl der Dekade. Dafür musste man sich allerdings anstrengen, das zeigen selbst eine ganze Reihe von Komödien wie „Filofax“ mit dem grandiosen James Belushi, „Das Geheimnis meines Erfolges“ mit Michael J. Fox oder „Working Girl“ mit Harrison Ford, Melanie Griffith und Sigourney Weaver. Sie bescheren uns auf humorvolle Weise die Erzählung von Aufsteigern: arbeite hart, gehe deinen Weg, setze all deine Mittel ein – inklusive des eigenen Körpers – und genieße deinen Erfolg! Dann darfst du es auch krachen lassen, du hast es dir verdient!

MUSIK

Wann wurde das meistverkaufte Album aller Zeiten produziert? Sie haben es bereits erraten: Natürlich in den 80ern, Michael Jacksons „Thriller“. Unter den in dieser Dekade auftretenden Superstars wie der rasant aufsteigenden Madonna blieb der „King of Pop“ der Größte. Eine Besonderheit dieser Dekade waren auch die zahlreichen schwulen Künstler, von George Michael über Jimmy Summerville bis zu Boy George und natürlich den schon vorher aktiven und nun besonders erfolgreichen Elton John und Freddie Mercury. Der Unterschied zu heute: Es wurde hemmungslos abgefeiert, ohne schlechtes Gewissen oder penetrante, politische Botschaft, die die Gesellschaft spaltete. Das beste Konzert erlebte ich – schon immer Sexist und Militarist – bei der schwulen Band „Frankie Goes to Hollywood“.

Man genoss einfach das positive Lebensgefühl, den freien Hedonismus, treffend verkörpert durch Madonnas „Material Girl“.

Selbst in Deutschland kam es zu gleich zwei kreativen Schöpfungen, von denen eine sogar um die Welt ging. Die sogenannte neue deutsche Welle (NDW) begann bereits in den 70ern, startete aber in den 80ern endgültig durch, bestens verkörpert durch Markus‘ „Ich will Spaß“ – und dann natürlich der internationale Kracher schlechthin: Techno! Auch wenn die Ursprünge bis in die 70er zurückreichen, entfaltete die E-Musik mit ordentlich Wumms in den 80ern ihre Breitenwirkung und ging in den 90ern von Berlin aus mit verschiedenen Love Parades um die Welt.

MODE

Die Selbstironie und Lebensfreude machte auch vor der Mode nicht Halt. Man trug selbst völlig übertriebene Grotesken mit Selbstbewusstsein. Pinkfarbene Stulpen über der Hose. Gigantische Schulterpolster. Ganze Berge von Haaren.

Als ich in einer Disco das Konzert einer damals fast unbekannten Band namens Depeche Mode besuchte (an einem Wochenende, an dem ich eigentlich Bereitschaft in der Kaserne hatte), trug ich Passendes, was meine Töchter als „cringeworthy“ bezeichnen würden: Einen dicken Rentierpulli, den ich in die knallenge Röhrenjeans stopfte, welche in flachen, superspitzen, langen Schuhen mündeten.

ES LIEGT AN DIR

Was können wir lernen?

Die Erzählungen der damaligen Zeit treffen sich alle am selben Punkt: Man ist für sein Leben selbst verantwortlich – und das nicht als Last, sondern als Herausforderung, die sich meistern lässt. Positives Lebensgefühl erwächst aus dem Selbstbewusstsein eigener Leistung. Nicht die Gesellschaft ist für mein Wohlbefinden verantwortlich, sondern ganz allein ich selbst. Dass ich es aus irgendeinem Grund schwer haben sollte, sei es per Geschlecht oder qua Ethnie, sind nur Ausreden, sich nicht ausreichend angestrengt zu haben. In „Working Girl“ erleben wir den Aufstieg einer Sekretärin – aber nicht etwa im Kampf gegen das Patriarchat, wie man es heute erzählen würde, sondern gegen ihre resolute, verschlagene Chefin.

Man war moderner als heute, weil man den Fokus auf das Durchsetzungsvermögen, die Leistung und immer auch den Humor setzte. Also im Grunde das komplette Gegenteil heutiger Identitätspolitik, die sich viel zu ernst nimmt, nie auch nur einen gelungenen Gag hervorbringt und stets die äußeren Umstände für die eigene Misere verantworltich macht.

Der größte Unterschied liegt allerdings in der Freiheit der Kunst – die kam in den 80ern von unten, von den Machern, Kreativen, Sängern, Schauspielern, Regisseuren, Produzenten. Man war lustig, überdreht, sexistisch, schlagkräftig und schlagfertig. Man tat es einfach, um sich auszutoben und auszuleben, steckte damit viele an. Heute erleben wir das Gegenteil, nämlich die gelenkte und moderierte „Kunst von oben“ – Unternehmen, die das eigentlich nichts angeht, erzählen uns, wie wir zu empfinden haben, Politiker strafen Andersdenkende ab, mediale Aufpasser achten auf political correctness in jedem Lebensbereich, Twitter-Meldemuschis zerstören bereitwillig Existenzen. In Hollywood setzt sich inzwischen die Denke durch, dass, um nur ein Beispiel zu nennen, nur Indianer Indianer spielen dürfen. Kulturelle Aneignung lautet der Kampfbegriff. Political Correctness und strenge gesellschaftliche Regeln sind jedoch der Tod der Kreativität – das lässt sich an den „erfolgreichen“ Künsten der Sowjetunion und Chinas ablesen oder aber an der aktuellen, kreativen Ebbe in Kinos und Streamingdiensten.

Lasst uns deshalb für die Freiheit der Kunst kämpfen. Nehmen wir uns ein Beispiel an der kreativsten Periode der Neuzeit. Es ist gar nicht so schwer und beginnt bei jedem Einzelnen.

Sei selbstbewusst, lebensfroh, leiste etwas! Sei 80er!

Und wenn das nicht so leicht funktioniert, leg einfach Michael Jackson auf oder streame „Lethal Weapon“. Jede kleine Film- oder Musikflucht in die 80er wird dir ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

 

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