Hessen wählt am 8. Oktober
Hessen wählt am 8. Oktober


Wiesbaden – Am 8. Oktober 2023 wählen die Hessen einen neuen Landtag. Seit 1999 wird das Bundesland von der CDU geführt. Ihrem Ministerpräsidenten Roland Koch folgte Volker Bouffier im Amt. Nach dessen Rücktritt übernahm im Mai 2022 Boris Rhein die Regierungsgeschäfte. Juniorpartner der Union sind die Grünen, die 2014 die erste schwarz-grüne Koalition in einem bundesdeutschen Flächenland eingingen. Bei der letzten Landtagswahl im Oktober 2018 verlor die CDU 11,3 Prozent und stürzte auf 27,0 Prozent ab, während die AfD ein Plus von 9,0 Prozent erzielte und mit 13,1 Prozent erstmals in das Landesparlament in Wiesbaden einzog. SPD und Grüne lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den zweiten Platz. Beide kamen vor fünf Jahren auf 19,8 Prozent, wobei die Grünen knapp die Nase vorn hatten. Die FDP wurde mit 7,5 Prozent viert- und die Linke mit 6,3 Prozent fünfstärkste Kraft.

Rund vier Monate vor der Hessen-Wahl ermittelte das Meinungsforschungsinstitut INSA für die CDU mit 29,0 Prozent einen deutlichen Vorsprung vor der Konkurrenz. Das ist trotzdem ein Prozentpunkt weniger als bei der vorherigen Umfrage und eine bescheidene Zunahme gegenüber der letzten Landtagswahl. Die SPD rangiert mit 22 Prozent auf dem zweiten Platz, gefolgt von den Grünen mit für sie enttäuschenden 18 Prozent. Die AfD liegt INSA zufolge bei 13 Prozent und würde ihr Ergebnis von 2018 damit halten. Der FDP gelänge mit sieben Prozent der Wiedereinzug in den Hessischen Landtag, aus dem die Linke mit nur noch vier Prozent rausflöge. Mit diesen Umfragewerten wäre die Fortsetzung des schwarz-grünen Regierungsbündnisses genauso möglich wie die Bildung einer „Ampel“ oder einer Großen Koalition. Zu anderen Ergebnissen kommt eine ganz aktuelle Umfrage des Instituts Wahlkreisprognose, das die politischen Stimmungen im kleinsten Raum misst. Nach der Trendanalyse für Hessen vom 1. Juli kommt die CDU auf schwache 26 Prozent, könnte damit aber den ersten Platz behaupten. Um den Status als zweitstärkste Kraft kämpfen die SPD mit 20 Prozent, die AfD mit 19 Prozent und die Grünen mit 18 Prozent. Für die AfD bedeutet das ein demoskopisches Plus von sechs Prozent. Die FDP würde mit fünf Prozent um den Verbleib im Landtag kämpfen und die Linke mit 2,5 Prozent zur Kleinpartei werden.

Union und Grüne hoffen darauf, im Schlafwagen durch den Wahlkampf zu kommen und ihr Regierungsbündnis geräuschlos fortsetzen zu können. Ministerpräsident Boris Rhein, den die Delegierten eines CDU-Parteitags in Darmstadt mit hundert Prozent der Stimmen als Spitzenkandidaten nominierten, gibt den händeschüttelnden und bodenständigen Landesvater, der hessenweit Volksfeste besucht. Programmatisch bleibt er aber oft genauso vage wie der grüne Ministerpräsidentenkandidat Tarek Al-Wazir. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb knapp drei Monate vor dem Urnengang: „Wenn es politisch wird, lässt Rhein gerne keinen Zweifel daran, dass in der amtierenden schwarz-grünen Koalition das Klima gut sei. Grünen-Mann Tarek Al-Wazir, zurzeit stellvertretender Ministerpräsident mit Ambition auf Rheins Nachfolge, tut das auch. Beide versuchen, ohne das auszusprechen, ihre Zusammenarbeit gleichsam regional naturbedingt wirken zu lassen.“ Ob dieses Konzept etwas tauge, würden erst die nächsten Wochen zeigen. „Strittige Themen gäbe es viele, zuvorderst die Migration und ihre Folgen, die Kommunen und Kreisen auf den Nägeln brennen. Vor allem die Grünen scheuen sich aber, dies zu einem Thema im Wahlkampf zu machen, aus Sorge, damit der AfD in die Hände zu spielen.“ Das müsse nicht zielführend sein und könne sich als falsch erweisen, kommentierte die Tageszeitung aus Frankfurt. Ihre Mahnung: „Wer über Probleme schweigt, löst sie damit nicht; die Debatte auf Bundesebene zeigt das.“

Beim Landeslistenparteitag der hessischen CDU im Darmstädter Kongresszentrum teilte Ministerpräsident Boris Rhein nach vielen Seiten aus, schonte aber auffällig die Grünen seines Bundeslandes. Die Berliner Ampel-Regierung machte er für die schlechte Stimmung im Land und die hohen Umfragewerte der AfD verantwortlich. Auf deren Wähler schielend, erteilte er den Plänen der Bundesregierung zur Schnell-Einbürgerung von Ausländern und zum Regelfall der doppelten Staatsbürgerschaft eine Absage. Die deutsche Staatsbürgerschaft dürfe erst am Ende einer gelungenen Integration verliehen werden. Der 51-Jährige kritisierte den Länderfinanzausgleich, aus dem Hessen noch nie einen Euro erhalten habe. Wie es auch die CSU vor jeder Landtagswahl tut, forderte Rhein eine Reform des Länderfinanzausgleichs, um die Nehmerländer zu mehr Sparsamkeit zu zwingen. Gelder aus dem Ausgleichstopf der Bundesländer seien kein Freifahrtschein für linke Wahlgeschenke. Rhein begeisterte die Delegierten mit Forderungen zur inneren Sicherheit. Um den Schutz von Frauen im öffentlichen Raum zu erhöhen, verlangte der verheiratete Vater zweier Kinder mehr Videoüberwachung und ein deutlich härteres Vorgehen gegen Frauenschläger: „Die einzige richtige Antwort auf Frauenschläger ist die Fußfessel.“ Auch gegen Internet-Täter will er andere Saiten aufziehen: „Es ist unerträglich, wenn Ermittlungen gegen Kinderpornographie scheitern, weil IP-Adressen zur Identifizierung der Täter nicht mehr verfügbar sind.“ Die ungeregelte Massenzuwanderung als Risikofaktor für die innere Sicherheit klammerte der Ministerpräsident aber aus. Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz, der dem Parteitag per Video zugeschaltet war, versprach der hessischen Union seine aktive Unterstützung im Wahlkampf.

Bundeskanzler Olaf Scholz wird voraussichtlich an drei Wahlkampfterminen der Hessen-SPD teilnehmen. Laut einem Sprecher der SPD-Landtagsfraktion wird er zum Wahlkampfauftakt am 3. September in Wiesbaden erwartet. Ob er der SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser damit einen Gefallen tut, darf aufgrund seiner schlechten Beliebtheitswerte bezweifelt werden. Auch die Bundesinnenministerin selbst ist wegen ihrer Ablehnung jeder Zuwanderungsbegrenzung nicht gerade ein Zugpferd ihrer Partei. Trotzdem wurde sie auf einem Landesparteitag in Hanau mit mehr als 94 Prozent der Stimmen zur sozialdemokratischen Spitzenkandidatin gewählt. In ihrer Rede knöpfte sich die 52-Jährige vor allem die Landes-CDU und den amtierenden Ministerpräsidenten vor. Im Gegensatz zum regierenden „Grüß-August“ wolle sie eine Ministerpräsidentin sein, „die anpackt“. Die hessische Union stehe für „Stillstand“, „Skandale“ sowie die „Arroganz der Macht“. Sie finde es skandalös, dass die CDU „das Leben von so vielen Menschen in Hessen anstrengender, ärmer, schlechter gemacht“ habe. Faeser versprach den Genossen einen großangelegten Aufbruch, der Bildungs-, Klima- und Industriefragen gleichermaßen umfasse. Die Bundesministerin rief in den Saal: „Lasst uns eine neue Ära sozialdemokratischer Reformpolitik beginnen.“ In ihrem Heimatwahlkreis Main-Taunus I fast einstimmig zur Direktkandidatin gekürt, sagte sie auf der Wahlkreiskonferenz: „Hessen ist ein wirtschaftsstarkes Bundesland. Aber in 25 Jahren CDU-Regierung ist so viel liegengeblieben.“

Als Reformpartei verstehen sich weiterhin auch die Grünen. Wirtschaftsminister und Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir will mit der Idee eines sechs Milliarden Euro schweren Klima- und Transformationsfonds sowie der Forderung nach 20.000 neuen Kita-Plätzen in den Wahlkampf ziehen. Mit dem Fonds sollen die Landesausgaben für den Klimaschutz und die Wirtschaftstransformation gebündelt und aufgestockt werden. Er wolle sich „mit voller Energie für dieses Land“ einsetzen, kündigte der Offenbacher auf dem Parteitag in Wetzlar an, wo er von 1.000 Mitgliedern per Handzeichen zum Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt gemacht wurde und für ethnische Vielfalt in Hessen warb. Die grüne Wissenschaftsministerin Angela Dorn sagte über ihn: „Tarek hat sich immer für Offenbach und Hessen entschieden, ein Offenbacher Bub mit jemenitischen Wurzeln.“ Der Parteitag forderte von den Bürgern mehr „Mut zum Wandel“.

Im Februar dieses Jahres hatte die AfD in Melsungen ihr Wahlprogramm für die Landtagswahl diskutiert und beschlossen. „Wir wissen alle: Wahltag ist Zahltag“, frohlockte Andreas Lichert, der neben Landtagsfraktionschef Robert Lambrou einer der Landessprecher der Partei ist. „Immer mehr Bürger spüren und verstehen, dass die Altparteien auf die wirklich gravierenden Fragen unserer Zeit keine Antworten mehr haben.“ Das Programm sieht unter anderem die Sicherung der Energieversorgung, einen Ausbaustopp für Wind- und Solaranlagen und eine strengere Zuwanderungspolitik vor. „Würde unkontrollierte Zuwanderung den Fachkräftemangel lösen, dann hätten wir jetzt keinen“, stellte Lambrou fest. Echte Fachkräfte könnten sich das Zielland schließlich aussuchen, aber für sie sei Deutschland im Gegensatz zu Sozialmigranten unattraktiv.

Mit dem Ziel der Abwahl der schwarz-grünen Landesregierung tritt FDP-Spitzenkandidat Stefan Naas an. „Wir gehen als eigenständige Kraft in diese Landtagswahl“, kündigte der Freie Demokrat auf dem Listenparteitag Ende letzten Jahres in Wetzlar an. Der 49 Jahre alte Landtagsabgeordnete und Jurist forderte eine „klare Wirtschaftspolitik“ sowie mehr Macherqualitäten in der hessischen Politik.

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