Hat die EZB längst die Kontrolle über den Euro und dessen Geldwertstabilität verloren?
Hat die EZB längst die Kontrolle über den Euro und dessen Geldwertstabilität verloren?

Die Geister, die ich rief: Christine Lagarde und die galoppierende Inflation des Euro


von Ulrike Trebesius

Bereits vor 10 Jahren, im Sommer 20211, attackierte der damalige deutsche Bundespräsident Christian Wulff die Währungshüter der Europäischen Zentralbank EZB. Eindringlich plädierte er für eine Kehrtwende hin zu nachhaltigem Wirtschaften und Haushalten. Zu dem Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB sagte Wulff damals: „Dies kann auf Dauer nicht gutgehen und kann allenfalls übergangsweise toleriert werden.“ Und Wulff sagte damals weiter: „Erst haben Banken andere Banken gerettet, und dann haben Staaten Banken gerettet, dann rettet eine Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Aber wer rettet die Retter?

Wer rettet die Retter von Banken- und Staatskrisen?

Damit meinte der ehemalige Bundespräsident natürlich insbesondere Deutschland, das mit seiner starken Wirtschaftsmacht und seinem tripple A im Ranking der Rating-Agenturen als sicherer monetärer Fels in der Brandung gilt. Und aus dessen solidem finanzpolitischem Handeln die EZB noch heute ihren Ruf begründet, mit ihren Maßnahmen die Sicherheit und Solidität der Gemeinschaftswährung zu wahren.

Der EZB scheinen die Hände gebunden, die Zinsen im Euroraum anzuheben

Wulffs Worte sind immer noch aktuell, denn die EZB ist auch unter ihrer neuen Führung durch Madame Christine Lagarde nicht von diesem Kurs abgewichen. Im Gegenteil, hat sie doch viele Entwicklungen sogar verstärkt, den Aufkauf von Staatsanleihen fortgesetzt, die Geldmenge weiter aufgebläht. So witzelt man im Euro-Raum seit Jahren, dass die EZB auch rostige Fahrräder aufkaufen würde. Die steigende Inflationsrate war also absehbar und ist unter anderem direkte Folge dieser Politik. 

Verkaufspreise im Großhandel im November 2021 um 16,6 Prozent gestiegen

Mittlerweile ist die Inflation auch in Deutschland angekommen. Die Verkaufspreise im Großhandel sind im November 2021 um 16,6 % gegenüber dem Vorjahreswert gestiegen und sind damit der höchste Anstieg gegenüber dem Vorjahresmonat seit Beginn der Berechnung der Großhandelspreisindizes in 1962 laut STATISTA. Auch bei den Verbraucherpreisen schlägt die Inflation mit 5,2 % im Oktober 2021 zu Buche. Zwar sind diese laut STATISTA in erster Linie auf steigende Preise im Energiesektor zurückzuführen, doch ist dies eben nur ein Teil der Wahrheit. Selbstverstärkende Effekte kommen hinzu, wie der deutsche Ökonom und ehemalige Vorsitzende des IFO – Institutes, Hans-Werner Sinn äußert: Eine Inflation sei grundsätzlich „inhärent instabil“. Das heißt übersetzt: „Inflation führt zu noch mehr Inflation.“ Die Kaufkraft der Menschen sinkt erheblich und die massiv negativen Realzinsen auf Spareinlagen sind zumindest für deutsche Sparer und Anleger ein großes Problem.

Zwar meint Christibe Lagarde, dass es sich hierbei eben nur um ein kurzfristiges Phänomen handelt, eben dem auch durch STATISTA ausgemachten hohen Energiepreisen geschuldet sei, jedoch ist es eher ein Ausdruck der Hilflosigkeit von Madame Lagarde, den Entwicklungen etwas entgegenzusetzen. Das Interview, das sie Ende November in der FAZ gab und in dem sie ihre Worthülsen absondert, ist offenbar zur Beruhigung der deutschen Bürger gedacht, die oft noch nicht zur Kenntnis genommen haben, dass bereits unter Mario Draghi eine italienische und jetzt unter Frau Lagarde eine französische Finanzpolitik betrieben wird, die mit dem Verständnis eines Jürgen Stark oder eines Jens Weidmann eben nichts zu tun haben. 

Zwar gibt es zurzeit tatsächlich einige preistreibende Faktoren, die vorrübergehender Natur sind. Nur ändert dies nichts am Grundproblem, dass die EZB jahrelang eine ultraexpansive Geldpolitik betrieben hat, um hauptsächlich den Südeuropäern die Zeit zu verschaffen, durch Reformen ihre überschuldeten Haushalte in Ordnung zu bringen. Doch ist dies je geschehen?

Monetäre Staatsfinanzierung

Diese Reformen sind aber nicht nur nicht erfolgt, vielmehr hat die EZB mit ihrem PEPP – Programm die expansive Geldpolitik fortgesetzt, die ihr kurz zuvor im Mai 2020 in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum PSPP – Programm untersagt wurde, nämlich die monetäre Staatsfinanzierung. Mit dem Pandemie-Anleihe-Kaufprogramm PEPP hat man daraufhin das PSPP–Programm kurzerhand ersetzt und damit die gleiche Politik der unerlaubten Staatsfinanzierung fortgesetzt. Hier nun unter dem Deckmantel, damit die Auswirkungen der Corona–Pandemie auf die Wirtschaft zu mildern. Es bleibt abzuwarten, ob man dieses neue Programm nun tatsächlich auslaufen lassen wird. 

Die Droge des billigen Geldes

Der Ausstieg aus der Droge des billigen Geldes dürfte immer schwerer werden. Mittlerweile ist die EZB mit Abstand der größte Gläubiger der Euro–Länder. Für immerhin 5000 Milliarden Euro (!) hat die EZB Staatsanleihen erworben und damit die Haushaltsdefizite der Euro-Länder finanziert. Und die Geldpresse läuft weiter auf Hochtouren. Damit wurde der gegenteilige Effekt von dem erreicht, was die ursprüngliche Absicht der EZB war, nämlich den Staaten Zeit zu verschaffen, um schmerzhafte Reformen abzumildern und die Haushalte zu sanieren. Vielmehr hat man sich an das billige Geld gewöhnt und viele Finanzminister der Euro-Länder nutzen dies, um sich weiter günstig verschulden zu können. Und zwar nicht nur im Süden des Kontinents.

Mit Hinblick auf die zunehmenden Schulden im Euro-Raum sowie die steigende Bewertung von Vermögenspreisen wird es für die EZB schwieriger, eine geldpolitische Wende einzuleiten. Die Teufel, die sie rief, wird sie nun nicht los und die eingeschränkte Handlungsunfähigkeit ist selbst verschuldet. Die Sorge, mit der Anhebung der Zinsen Italien oder Spanien an den Rand der Belastbarkeit zu bringen, schränkt die Möglichkeiten eben deutlich ein. 

Die Inflation macht das Versagen der EZB sichtbar, deren ursprüngliche Aufgabe darin bestand, für Preisstabilität zu sorgen. Sie hat diese Aufgabe bereits vor 10 Jahren aufgegeben, als man die Eurozone um jeden Preis zusammenhalten wollte. Die Quittung kommt nun in Form der Inflation, was durch nicht wenige Ökonomen genau so prognostiziert wurde. 

„Wir gehen in die Phase schleichenden Kaufkraftverlustes über in eine Phase sprunghafter Preissteigerungen, die auf die Schäden der globalen Wirtschaftsstruktur hinweisen. Dies krankt nun zusätzlich am Pandemie-Interventionismus. Geldschöpfung wird weiter Wertschöpfung ersetzen.“ So der österreichische Ökonom Rahim Taghizadegan

Morgen entscheidet die EZB nun darüber, wie sie weiter mit den Anleiheankaufprogrammen umgehen wird bzw. ob sie diese fortsetzt. Christine Lagarde wird dazu am 16. Dezember 2021 Stellung nehmen. Ihre Aussagen werden darüber entscheiden, ob das Vertrauen der Sparer und Anleger und zunehmend auch das der Banken in die Notenbank weiter erodiert. 

 


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