So bunt Südafrika auch daherkommen wollte, dem Land gelang es bislang nicht, Mittel gegen Korruption und für eine Wiedererstarkung der Wirtschaft zu finden
So bunt Südafrika auch daherkommen wollte, dem Land gelang es bislang nicht, Mittel gegen Korruption und für eine Wiedererstarkung der Wirtschaft zu finden

von Dietrich Kantel

Kapstadt – Gerade verursacht die multiflexible, möglicherweise multi-aggressive Corona-Variante „Omikron“ aus Südafrika Schlagzeilen. Reisebeschränkungen werden erlassen, Flugverbindungen eingeschränkt. In dieser Corona-Nachrichtenlage bleibt bei uns, trotz der intensiven Verbindungen in das Land am Kap etwas weitgehend unbeachtet: Eine innenpolitische Wende, möglichrweise eine kleine Revolution im wundervollen Kapland. Die seit Ende der Apartheid fast alles dominierende Partei des African National Congress (ANC) hat in den landesweiten Kommunalwahlen im November erstmalig herbe Niederlagen kassiert. Koruppte Vetternwirtschaft, Staatskonzerne wurden geplündert, die Energiewirtschaft liegt am Boden und droht die bisher einzig verlässlich produzierenden Industrien des Kontinents lahmzulegen. Wen interessiert das? Es sollte uns interessieren. SIEMENS, VW, MERCEDES, BMW produzieren seit Jahrzehnten am Kap. Die deutschen Unternehmen – 600 sind dort präsent – haben schon früh zu anständigem Lohn und damit guten Lebensverhältnissen ihrer Belegschaften gesorgt. Schon unter dem alten Apartheitsregime. Bessere Arbeitsbedingungen für Industriearbeiter gibt es in ganz Afrika nicht.

ANC: Von der Freiheitsbewegung zum Zentrum der Habgier

Seit dem Ende der Apartheit 1994, regierte der hundert Jahre alte, vormals marxistische, jetzt sozialistisch orientierte ANC das Land, die Unionsprovinzen (bis auf das Western Cape) und praktisch alle großen Städte (bis auf Kapstadt). Doch seit dem Ende der Präsidentschaft von Nelson Mandela versank Südafrika zunehmend in Korruption und Nepotismus. Den vorläufigen Höhepunkt bildete die Präsidentschaft des vormaligen Ziegenhirten Jacob Zuma. Der platzierte inkompetente Gefolgsleute in den Schaltstellen der Macht. So plünderte er zusammen mit seinem Sohn Dudouzane und drei indischen Geschäftsleuten, den Gupta-Brüdern, öffentliche Kassen und (halb-)staatliche Unternehmen, allen voran den staatlichen Stromversorger ESCOM, um mindestens sieben Milliarden US-Dollar. Diese verschwanden über dubiose Kanäle via Dubai und Panama im Nirvana. Das stellte der seinerzeitige südafrikanische Finanzminister Pravin Gordham laut dem Investigativbericht unabhängiger afrikanischer Journalisten („The Plunder Route to Panama – How African Oligarchs steal from their countries“) fest. Allerdings wurde Zuma wegen immer weiter ausufernder Korruptionsfällen, zahlreichen Anklagen wegen Vergewaltigung und Folter schließlich doch des Amtes enthoben. Nur: Nennenswertes hat sich seither nicht gebessert in Südafrika. Im Gegenteil: Die Arbeitslosenquote explodierte in den vergangenen Jahren. Stromabschaltungen durch den finanziell geplünderten Monopolversorger ESCOM (siebtgrößter Stromerzeuger der Welt) sind an der Tagesordnung. Die Infrastruktur ist in einem desolaten Zustand in dieser größten Industrienation des afrikanischen Kontinents.

Ungeachtet dessen hielt die schwarze Mehrheitsbevölkerung ihrem ANC immer die Treue. Denn der ist mehr als nur politische Partei. Er ist die Freiheitsorganisation, die für das Ende der Apartheit steht. Und hat beinahe Kirchenstatus, wie es Claudia Bröll in der FAZ formulierte: Auch wenn man nicht mit allem einverstanden ist, man bleibt ihr trotzdem treu.

Das Ende des ANC? 

Diese Vasallentreue könnte nun ihr Ende genommen haben. Eine Abkehr vom korrupten ANC scheint Platz zu greifen und hat in den kommunalen Novemberwahlen erste Ergebnisse gezeitigt. „Ein zumindest mittelschweres politisches Erdbeben“ habe sich ereignet. So formulierte es der in Kapstadt lebende Südafrika Korrespondent des Handelsblattes, Wolfgang Dressler kürzlich auf Facebook. Völlig unerwartet sind die Wähler in den Novemberwahlen dem ANC in Scharen davongelaufen und haben die Partei erstmalig und mancherorts sogar dramatisch unter die bisher gewohnte, symbolschwere Marke von 50 Prozent gedückt. Landesweit kam der ANC nur noch auf 45 Prozent. Ein Minus von über 10 Prozent zu den letzten Vergleichszahlen. Auf Robben Island waren es gar nur noch 31 Prozent. Im schwarzen historischen Soweto, wo der ANC zuletzt 86 Prozent der Stimmen hielt, waren es jetzt nur noch 53 Prozent. Ein Absturz von 33 Prozent. In der Millionenmetropole Johannesburg, Wirtschafts- und Finanzentrum des Landes, landete der ANC erstmals deutlich unter 50 Prozent. In keiner der großen Städte hat die Patei mehr die seit 25 Jahren abonnierte absolute Mehrheit erlangt. Und in der Vier-Millionen-Metropole Kapstadt kam die liberale „Democratic Alliance“ (DA) auf 58 Prozent. 

Die Apartheid war unmöglich, aber der ANC ruiniert Südafrika

Noch ist die Dauerhaftigkeit dieser Abkehr der von Korruption und Habgier enttäuschten Bevölkerung vom ANC ungewiß. Der Knackpunkt: Zu diesen Ergebnissen kam es, weil sich der eigentlich linksrextreme „Economic Freedom Fighters“ (EFF), letztlich einer Abspaltung aus dem ANC-Lager, in wichtigen Städten den liberalen DA unterstützt hat. Für viele Südafrikaner ist der erstmalige Verlust der absoluten Mehrheit des ANC ein Lichtblick. Es keimt die Hoffnung, dass der ANC untergeht, bevor er das ganze Land in den Abgrund reißt, heißt es. So sollen selbst in der enttäuschten schwarzen Bevölkerung Parolen kursieren wie „Bringt die Weißen wieder an die Regierung.“

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