Wien – Die ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner sieht den früheren Chef der Volkspartei und Ex-Kanzler Sebastian Kurz als vollständig entlastet an. Am 25. Februar twitterte die Abgeordnete zum Wiener Landtag: „Durch die neusten Erkenntnisse haben sich die Vorwürfe gegen Sebastian Kurz endgültig als falsch erwiesen. Monatelang wurde Sebastian Kurz von der Opposition die Unschuldsvermutung verweigert. Hier braucht es jetzt eine Entschuldigung aller Beteiligten!“ Die 27-Jährige bezog sich auf jüngste Aussagen von Sabine Beinschab, die als Schlüsselfigur in der Affäre um manipulierte Umfragen des Finanzministeriums samt Scheinrechnungen gilt.
Ende Oktober 2021 wurde Beinschab fünf Stunden lang von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zum Skandal über geschönte Meinungsumfragen und deren Finanzierung befragt. Faktisch entlastete sie Kurz und belastete stattdessen ihre vormalige Chefin, die Marktforscherin Sophie Karmasin, die von 2013 bis 2017 Familienministerin war. Weil die Ex-Politikerin nach Auffassung eines Richters auf freiem Fuß weiterhin strafbare Handlungen begehen könnte, wurde Karmasin in Untersuchungshaft genommen. Über ihre Kontakte beziehungsweise Nicht-Kontakte zu Sebastian Kurz sagte Beinschab den Ermittlern: „Ich habe ihn persönlich einmal im Vorbeigehen gesehen, ansonsten nie. Gar nie. Kein einziges Mal. Ich habe keine Telefonnummer, ich habe gar nichts, ich kenne den aus dem Fernsehen.“ Die Anwaltskanzlei des früheren ÖVP-Chefs wies darauf hin, dass die Demoskopin auch von Kurz‘ Mediensprecher Gerald Fleischmann „nie Anweisungen zu Studien“ erhalten habe. Sie habe kaum Kontakt zu ihm gehabt und sich nur „allgemein über die politische Lage ausgetauscht“.
In der „Inseratenaffäre“ um Gefälligkeitsumfragen auf Steuerzahlerkosten, Scheinrechnungen ans Finanzministerium und verdeckte Minister-Provisionen sieht die ÖVP die Ehre ihres früheren Frontmannes als wiederhergestellt an. Die Volkspartei sprach von der Absurdität und Substanzlosigkeit „aller Vorwürfe, mit denen der ehemalige Bundeskanzler konfrontiert war“. Der regelrecht aus dem Amt gemobbte Ex-Kanzler ließ über seine Rechtsanwälte ausrichten, froh zu sein, dass „die Vorwürfe gegen mich damit in sich zusammenbrechen. Ich habe immer betont, dass sich die Vorwürfe als falsch erweisen werden, und das ist nun geschehen.“ Damit kann Kurz politisch als rehabilitiert gelten, aber sein Interesse gilt derzeit nicht mehr der Partei- und Tagespolitik.
Wenige Wochen, nachdem er Ende 2021 seinen Rückzug aus der österreichischen Politik verkündet hatte, wurde bekannt, dass der gebürtige Wiener bei Thiel Capital eine Beraterposition übernimmt. Das ist eine Anlagefirma des deutschstämmigen US-Investors Peter Thiel, der mit seinem Engagement für Facebook, die Datenanalysefirma Palantir und als Co-Gründer der Online-Bezahlplattform PayPal reich und berühmt wurde. Es hieß, dass der Österreicher im ersten Quartal 2022 seine Tätigkeit in den Vereinigten Staaten aufnimmt. Über Kurz‘ genaues Aufgabengebiet als „Global Strategist“ bei Thiel Capital ist bislang nichts publik geworden. Die Firma mit Sitz in Kalifornien ist nur eine von mehreren geschäftlichen Initiativen Thiels, der sein Geld bevorzugt in Technologiefirmen investiert. Der begnadete Schachspieler ist auch Präsident eines Hedgefonds in New York.
Im Gegensatz zu anderen Unternehmergrößen aus dem kalifornischen Silicon Valley unterstützte der 1967 in Frankfurt am Main geborene Deutsche den früheren US-Präsidenten Donald Trump. Auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner 2016 sagte der Pionier des Digitalzeitalters: „Ich bin kein Politiker, ich unterstütze Menschen, die Neues schaffen, von sozialen Netzwerken bis hin zu Raketenschiffen. Ich bin kein Politiker. Aber Donald Trump ist es auch nicht. Er ist ein Baumeister, und es ist an der Zeit, Amerika wieder aufzubauen.“ Der überzeugte Republikaner hält seiner Partei auch nach der Machtübernahme der Demokraten die Treue und scheint nun das Modell eines „Trumpismus ohne Trump“ zu favorisieren. Jedenfalls unterstützt der milliardenschwere Tech-Investor mehrere Trump-nahe Kandidaten bei den Kongresswahlen im November dieses Jahres. Möglicherweise ist Sebastian Kurz als Thiel-Berater bei Fragen konservativer Strategiebildung und -vernetzung gefragt.
Die beiden kennen und schätzen sich seit Längerem. Von der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2017 posteten sie bei Twitter ein gemeinsames Foto. 2021 wurde der Finanzmann mit dem Frank-Schirrmacher-Preis gewürdigt. „Mit der Preisvergabe an Thiel wird sein umfassendes Wirken in der Analyse der Chancen und Risiken des technologischen Fortschritts gewürdigt“, begründete die Frank-Schirrmacher-Stiftung ihre Entscheidung. „Ohne Rücksicht auf bestehende Denkverbote setzt er seine intellektuellen Impulse und bereichert so die aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen in den unterschiedlichsten Bereichen.“ Die Laudatio hätte eigentlich Sebastian Kurz halten sollen, wozu es wegen der politischen Turbulenzen nicht mehr kam.
Peter Thiel war der erste externe Facebook-Investor und Mentor von CEO Mark Zuckerberg. Kurz nach dem Börsengang des Unternehmens im Jahr 2012 verkaufte er einen Großteil seiner Aktien, blieb aber eine der wenigen konservativen Stimmen im Verwaltungsrat des Konzerns. Nun gab er bekannt, seinen langjährigen Sitz im Facebook-Verwaltungsrat aufzugeben und sich von dem in Meta umbenannten Social-Media-Konzern abzuwenden. Thiel-Kritiker aus der linksliberalen Medienbranche glauben, dass der Finanzinvestor ein Interesse daran haben könnte, „rechtslibertäre“ Strömungen in Europa zu unterstützen und deshalb Sebastian Kurz an Bord geholt hat. „Peter Thiel will die US-Politik mitbestimmen und auf einen sehr konservativen Kurs führen. Er hat mit Donald Trump gezeigt, dass er, wenn er Einfluss nimmt, sogar jemandem helfen kann, Präsident zu werden. Das will er in Zukunft mehr tun“, äußerte „Spiegel“-Korrespondent Alexander Demling. Es sei denkbar, dass Thiel auch in Europa politische Ambitionen habe. „Und da kennt sich Sebastian Kurz sehr gut aus.“
Der bleibt natürlich als Thiel-Berater ein politischer Mensch. Er mischt sich nicht in die österreichische Innenpolitik ein, tritt aber nach wie vor für seine Herzensanliegen ein. Eines davon ist der Kampf gegen Antisemitismus und für religiöse Toleranz. Deshalb ließ er sich im Jänner 2022 zum Ko-Vorsitzenden des Europäischen Rates für Toleranz und Versöhnung (ECTR) ernennen. Der Rat, dessen Führungsgremium viele ehemalige Spitzenpolitiker angehören, setzt sich für jüdisches Leben in Europa ein. Der ÖVP zufolge soll ihr früherer Vorsitzender bei der neuen ehrenamtlichen Tätigkeit seine internationalen Kontakte spielen lassen. Der ECTR sieht seine Aufgabe darin, internationalen Organisationen und Regierungen praktische Handlungsempfehlungen zu geben. Das liegt Sebastian Kurz bekanntermaßen.