Bernhard Sammer wirbt um Investoren für das Gesunde
Bernhard Sammer wirbt um Investoren für das Gesunde

 

Baar – Bernhard Sammer (Jahrgang 1971) ist keine unumstrittene Größe im MLM-Geschäft. Unter Multi-Level-Marketing (MLM) wird eine Methode des Direktverkaufs an Verbraucher durch unabhängige Handelsvertreter verstanden. Bei diesem Direkt- oder Empfehlungsmarketing werden Personen anstelle von Einzelhandelsgeschäften eingesetzt, um ein begrenztes und nicht selten deutlich überteuertes Produktsortiment zu verkaufen. Im MLM-System sind die angeworbenen Vertriebspartner keine Angestellten des Unternehmens, sondern Einzelkämpfer, die ihre eigenen Vertriebs- und Kundennetzwerke aufbauen müssen, um die Produkte gegen Provision zu veräußern. Nur so winkt ihnen – ganz theoretisch – das, was alle MLM-Unternehmen ihren eigenständigen Vertriebsleuten versprechen: tolle Einkünfte und ein eigenständiges Arbeiten von zu Hause. In vielen Fällen gleicht die missbrauchsanfällige Multi-Level-Marketing-Struktur einer Pyramide. Die personelle Spitze der Pyramide, die beim MLM-Unternehmen angestellt ist, ködert mit vollmundigen Versprechen unabhängige Vertriebspartner, die wiederum weitere Partner anheuern. Kunden haben also Kunden zu werben. Dieses „Fußvolk“ soll dann die Produkte verkaufen, wobei nur die Leute an der Spitze der Direktmarketing-Struktur wirklich Kasse machen und sich die unteren Ränge meist vergeblich abstrampeln. Oft ist das Ganze für sie sogar ein finanzielles Zuschussgeschäft. Alle Hobby-Vertriebsleute zahlen nämlich einen nicht unerheblichen Teil ihres Verdienstes an ihre Vorgesetzten und das Unternehmen. Selbst wer keine Abnehmer für Nahrungsergänzungsmittel, Hautpflegeprodukte und Ähnliches findet, muss in der Regel eine Mindestmenge der Produkte abnehmen und selbst bezahlen.

Das Multi-Level-Marketing ist nicht per se illegal, aber die Geschäftspraktiken sind fragwürdig und können schnell ins Illegale abgleiten, wenn sie nach dem Pyramidenprinzip funktionieren. Das Informationsportal „Verbraucherzentrale.de“ warnte Anfang Dezember 2023: „Fabelhafte Gewinnversprechen für geringe Einzahlungen: Schneeballsysteme funktionieren, indem immer mehr Menschen ihr Geld dazugeben. Stockt aber das System, brechen die illegalen Geschäfte zusammen.“ 

Selbst Juristen fällt die Abgrenzung von erlaubtem Network-Marketing und illegalem Schneeballsystem nicht ganz leicht: „Man nutzt das Multi-Level-Marketing, um eine Ware anzubieten durch die Leute und diese zu bewerben, beim Schneeballsystem sollen dagegen Personen überwiegend Geld einbezahlen, um sich beteiligen zu können“, erläutert der Chefjurist der Thüringer Verbraucherzentrale Ralf Reichertz. „Man muss sich auch bewusst machen, manchmal ist es erst so richtig klar, ob es sich um Multi-Level-Marketing oder ein Schneeballsystem handelt, wenn man einen Gerichtsentscheid hat. Tatsächlich ist die Abgrenzung oft gar nicht so leicht herauszufinden, ob wir uns noch im legalen Bereich befinden oder schon im Schneeballbereich.“

Besonders häufig werden Nahrungsergänzungsmittel und Hautpflegeprodukte im Rahmen des Direktvertriebs verkauft. Diese Produktgruppen will auch die Vitana-X Europe AG mit Sitz im schweizerischen Baar unter das Volk bringen. Vitana-X gibt vor, „für die Vereinigung von Natur und Forschung“ zu stehen: „Wir kombinieren die wertvollsten Schätze der unberührten Natur mit preisgekrönten Herstellungsverfahren, um Nahrungsergänzung und natürliche Hautpflegeprodukte zu entwickeln, die zu den Wirkungsvollsten auf dem Markt gehören.“ Die unternehmerische Mission sei es, „den Menschen mehr Lebensqualität und Gesundheit und damit ein langes und glückliches Leben zu ermöglichen“. Derartigen Werbesprech kennt man von vielen MLM-Unternehmen. 

Das Produktsortiment ist recht überschaubar. Dazu gehört für 13 Euro ein Reinigungsschaum namens „Refresher“, der intime Körperbereiche gründlich reinigen soll, ohne den natürlichen Feuchtigkeitshaushalt aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das „Repair Serum Rich“ wird als regenerierendes Hyaluron-Serum mit dem Charakter eines „Feuchtigkeitsboosters“ beworben, um die Haut tiefenwirksam mit Wirkstoffen zu versorgen. Eine besonders feine Formel mit „Skin-Repair-Effect“ schmelze auf der Haut und bereite diese auf die anschließende Pflege vor. Kostenpunkt: schlappe 149 Euro. Noch absurder wird es preislich bei „DNA Analytics“. Damit ist eine personalisierte DNA-Analyse gemeint, die angeblich ganz einfach und schnell von zu Hause aus durchgeführt werden kann. Diese „Betriebsanleitung für deinen Körper“ bietet Vitana-X für sage und schreibe 999 Euro an. „Diese Produkte führen zu neuen Kundenerkenntnissen, die ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden durch gezielte Maßnahmen verbessern können“, formuliert das Unternehmen in sattsam bekannter Schwurbelsprache. Ähnlich abenteuerlich wird „Vitapure“ in einem Mini-Fläschchen beworben, das man von Nasentropfen kennt. Dazu heißt es: „Die Wirkstoffe werden anhand der innovativen Micelle-Technology in eine wasserlösliche Form übermittelt. Dadurch können diese ihre Wirkung im Körper bereits bei einer geringen Einnahme in einem revolutionären Spektrum entfalten. Eine Bioverfügbarkeit von mindestens 95 Prozent ist das Ergebnis.“

Wie es im Multi-Level-Marketing üblich ist, will auch der 1971 geborene Vitana-X-Gründer Bernhard Sammer massenhaft Vertriebspartner gewinnen. Ganz klischeehaft erklärt seine Aktiengesellschaft: „Viele Menschen suchen nach einem lukrativen und sicheren Weg, online von zu Hause aus Geld zu verdienen. Doch die Suche ist nicht einfach! Viele Unternehmen haben zu hohe Anforderungen oder bieten zu wenig. Vitana-X hingegen gibt jedem die Chance, einfach und profitabel von zu Hause aus Geld zu verdienen.“ Mit den typischen MLM-Satzbausteinen sollen neue Vertriebspartner geködert werden: „Willst du auch Teil dieser großen Bewegung sein, deine Gesundheit und dein Wohlbefinden verbessern und gleichzeitig selbstbestimmt deine finanzielle Zukunft gestalten? Dann werde jetzt Vitana-X-Partner, empfehle unsere zukunftsweisenden Produkte und baue dir eine Karriere im Vitana-X-Vertrieb auf.“ Zu den Verdienstmöglichkeiten erklärt Sammers Wellness-Unternehmen, dass es nach oben kaum Grenzen gebe. Man werde ja nicht wie in einem konventionellen Angestelltenverhältnis nach Stunden bezahlt, sondern ausschließlich nach dem Verkaufserfolg durch einen erfolgreichen Team-Aufbau. „Du entscheidest also selbst, ob du mehrere tausend Euro oder nur ein paar hundert Euro verdienen möchtest.“ Vor zwei Jahren verkündete Bernhard Sammer die Ausdehnung seines Network-Marketing-Programms auf Rumänien und räumte ein, dass er seine Aktionäre sehr lange warten ließ: „Die Prioritätsstufen für das stetige Wachstum unserer Absatzmöglichkeiten und unserer Aktivitäten in den Bereichen Forschung und Entwicklung sind identisch. Wir wollen unseren Kunden Produkte anbieten, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Vielen Dank an die Aktionäre für ihre Geduld. Finanzberichte und OTC-Offenlegungen wurden geändert und neu eingereicht.“ Ob das Rumänien-Geschäft floppte, ist genauso wenig bekannt wie die geschäftliche Gesamtbilanz des Schweizer MLM-Unternehmens.

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