Frankfurt am Main - Das Leichtmetall Lithium gilt in Zeiten der Energiewende und der weltweit propagierten Hinwendung zur Elektromobilität als neuer Goldstandard. Dass unverzichtbare Alltagsgegenstände wie Laptops und Mobiltelefone, Digitalkameras und Herzschrittmacher wiederaufladbar sind und damit ressourcenschonend genutzt werden können, verdanken sie Lithium-Ionen-Akkus. Erst ihre Entwicklung hat den breiten und nachhaltigen Einsatz von Mobilgeräten aller Art ermöglicht. Das Alkalimetall spielt für Schlüsseltechnologien wegen seiner hohen Siedetemperatur und Wärmekapazität eine wichtige Rolle. Ohne das geringe Gewicht der Lithium-Ionen-Akkus hätten Elektrofahrzeuge nicht die Reichweite, die sie zu ernsthaften Konkurrenten für Autos mit Verbrennermotoren macht. Aufgrund ihrer besonderen Speicherfähigkeiten kommen diese Akkus massenhaft zur Abspeicherung von Wind- und Sonnenenergie zum Einsatz.
Vor anderthalb Jahren machte Bolivien mit seinen Lithium-Vorkommen Schlagzeilen. Im Uyuni-Salzsee hoch in den Anden werden 21 Millionen Tonnen dieses Zukunftsrohstoffs vermutet. Doch der in Salzlake in bis zu 50 Meter Tiefe steckende Lithiumschatz muss mit großem Investitionsaufwand erst gehoben werden. Das finanziell angeschlagene Land steht deshalb im Fokus vieler Industrienationen und Großinvestoren, die das für die Produktion von E-Auto-Batterien unerlässliche Alkalimetall langfristig einkaufen wollen. Das „weiße Gold“ gibt es freilich nicht nur im Uyuni-See. Auch in Boliviens Nachbarschaft – in Peru, Chile und Argentinien – existieren große Salzseen als Lagerstätten von Lithium. Die meisten südamerikanischen Minen lassen lithiumhaltiges Salzwasser unter Beimischung von Chemikalien verdunsten, bis die Lithiumverbindungen zurückbleiben und abgebaut werden können. Beim alternativen Direct-Lithium-Extraction-Verfahren wird das Salzwasser unmittelbar in eine Aufbereitungsanlage gepumpt, um das Lithium durch chemische Prozesse zu extrahieren. Beide Abbaumethoden haben ihre Vor- und Nachteile.
Die auf E-Mobilität setzende Automobilindustrie lässt die Nachfrage nach dem Metall weltweit extrem steigen. Allein in den letzten beiden Jahren stieg der Preis für Lithiumcarbonat in bis dato unbekannte Höhen. Das lässt überall eine Goldgräberstimmung aufkommen, wo entsprechende Vorräte entdeckt oder auch nur vermutet werden. Das gilt auch für Portugal als Europas größtem Lithium-Produzenten, das mit Guarda über die größte Mine des Kontinents verfügt. Als 2019 über die Erschließung weiterer Minen diskutiert wurde, schwärmte die Wochenzeitung „Jornal Económico“ vom Aufblühen ganz neuer Industriezweige: „Portugal verfügt über die natürlichen Ressourcen, aber auch über das Know-how und die Technologie, um insbesondere bei Batterien für die Automobilindustrie den gesamten Produktionszyklus, von der Lithiumgewinnung bis zur Herstellung dieser Energiespeicher, abzudecken. Unser Land kann sich in der Tat zu einem Cluster entwickeln und in diesem Sektor wettbewerbsfähig sein, insbesondere aufgrund seiner Nähe zu den europäischen Märkten im Vergleich zu Konkurrenten wie China, Chile, Australien und Argentinien.“ Sofern die Einhaltung der Umweltstandards gewährleistet sei, solle die Lithium-Industrie für Portugal unbedingt als strategische Chance betrachtet werden, urteilte das wirtschaftsliberale Blatt.
Im Jahr 2021 hatten die weltweiten Lithium-Reserven laut den Statistikern ein Volumen von rund 89 Millionen Tonnen. Als Länder mit den größten Vorräten nannten sie Chile, Australien, Argentinien, China, die USA, Simbabwe, Brasilien und Portugal. 2021 waren Australien, Chile und China die wichtigsten Förderländer. Die in australischen Minen geförderte Menge betrug etwa 55.000 Tonnen, womit auf dem fünften Kontinent im Globalmaßstab der größte Anteil abgebaut wurde. Etwa 80 Prozent der internationalen Bergwerks- und Soleförderung von Lithium gehen auf das Konto Australiens und Chiles. Damit bestimmen diese beiden Abbauländer maßgeblich das Weltmarktangebot dieses zukunftsrelevanten Rohstoffs.
Dessen Preis verteuert sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Ende der ersten Oktoberwoche 2022 kostete eine Tonne Lithiumcarbonat auf dem Spotmarkt in China umgerechnet fast 72.000 US-Dollar. Allein seit Jahresbeginn 2022 hat sich der Preis damit mehr als verdoppelt. Weil er sich 2021 bereits versechsfachte, sprechen Experten vom Beginn eines „Lithium-Superzyklus“. Bis Ende November 2022 kostete eine Tonne am chinesischen Spotmarkt in der Spitze sogar 84.500 Dollar.
Preistreiber ist die massiv gestiegene Nachfrage, von der Marktkenner erwarten, dass sie bis 2030 weltweit bei 350.000 bis 400.000 Tonnen pro Jahr liegen wird. 2021 waren es 85.000 Tonnen und 2015 sogar nur 33.000 Tonnen. Gleichzeitig trifft die hohe Nachfrage auf ein äußerst knappes Angebot. „Das kritisch wichtige chemische Element ist weiterhin in einem langfristigen Versorgungsengpass“, stellt Marktanalyst Konstantin Oldenburger fest. „Die Inbetriebnahme neuer Produktionskapazitäten kann bis zu fünf Jahre oder länger dauern. Machbarkeitsstudien, behördliche Genehmigungen, Kapitalbeschaffung und Kapitalausgaben sind dabei große Hürden, bevor überhaupt Lithium produziert werden kann“, analysiert der Experte von CMC Markets.
Obgleich sich Lithium nicht direkt an der Börse handeln lässt, können Anleger von den Gewinnen der Förderer, Produzenten und Weiterverarbeiter profitieren. Eine Möglichkeit sind Investments in Einzelaktien der Lithium-Unternehmen. Interessant können die Lithium-Aktien des US-Konzerns Albermarle sein. Der marktführende Rohstoffkonzern kontrolliert rund ein Drittel des globalen Geschäfts mit dem Basismaterial der Mobilitätswende. Auf Dreijahressicht hat sich der Aktienwert fast vervierfacht. Das Online-Portal „Börse am Sonntag“ notiert dazu: „Entscheidend für steigende Kurse, ob nun mit Blick auf ETFs oder Einzelaktien, bleibt die Preisentwicklung von Lithiumcarbonat. Nach den jüngsten Preissteigerungen wäre eine Konsolidierung nicht überraschend. Langfristig aber könnte allein die Fantasie mit Blick auf den Multimilliarden-Markt E-Auto die Preise weiter steigen lassen. Fakt ist: Die Nachfrage nach Lithium wird steigen. Und das Angebot wird weiter Mühe haben, Schritt zu halten.“
Vielerorts wird an Alternativen zur industriellen Rohstoffgewinnung gearbeitet, um die Lithium-Abhängigkeit von einzelnen Staaten zu verringern. Das Recycling von lithiumhaltigen Batterien aus Smartphones und Notebooks ist dabei ein vielversprechender Ansatz. Industrielle Förderkapazitäten wird das aber kaum ersetzen, weil die globale Nachfrage regelrecht explodiert. Das sogenannte weiße Gold wird eben in großem Stil für aufladbare Lithium-Ionen-Batterien gebraucht – ohne sie gibt es keine Elektromobilität und keine Speicher für die erneuerbaren Energien.