Baar – „Lebensversicherungen sollen den Absicherungsbedürfnissen und den Renditeerwartungen der Kunden gerecht werden. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber leider nicht.“ Dieses harsche Urteil stammt von Julia Wiens als Exekutivdirektorin der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die Versicherungsexpertin der Aufsichtsbehörde fordert die deutschen Lebensversicherer auf, beim Thema Kundennutzen deutlich nachzubessern. Sie kritisiert in erster Linie die zu hohen Kosten und damit die Entwertung von Lebensversicherungen, die Millionen Menschen zur privaten Altersabsicherung abgeschlossen haben. Die unerwarteten Kosten schmälern die Rendite der Versicherungsanlageprodukte und gehen zulasten der Kunden. Wiens‘ Hauptkritik entzündet sich an den Effektivkosten und der Stornoquote. Effektivkosten geben an, wie stark die jährliche Rendite durch verschiedene Kostenfaktoren gemindert wird, erklärt das Beratungsportal Vertragshilfe24.de, das sich auf die Rückabwicklung nicht mehr lohnender Versicherungsverträge spezialisiert hat.
2023 lag die Effektivkostenbelastung verschiedener Lebensversicherungsprodukte bei vier Prozent oder sogar deutlich darüber. Für eine Rendite der Kunden müssen diese Kosten erst einmal unternehmerisch gedeckt werden, was im derzeitigen Marktumfeld kaum möglich ist. „Wenn die Effektivkosten so hoch sind, müssen die Versicherer prüfen, ob zumindest für diejenigen Kunden das Renditeziel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht wird, die ihren Vertrag ab dem genannten Zeitpunkt kündigen“, sagte Wiens. Nur dann könne von einem „angemessenen Kundennutzen“ gesprochen werden. Bei einigen Versicherern fallen zudem die hohen Stornoquoten schon innerhalb der ersten Vertragsjahre auf. Da die meisten Kosten in der Frühphase der Vertragslaufzeit anfallen, fahren die stornierenden Kunden hohe Verluste ein. Die BaFin erklärt schlüssig, warum vorzeitige Vertragsbeendigungen die Effektivkosten weiter erhöhen und die Rendite mindern: „Ein Grund dafür ist die Verteilung der Abschlusskosten auf die Vertragslaufzeit. Da Provisionen für die Vertragsvermittlung einen großen Teil der Abschlusskosten ausmachen, die sofort bei Vertragsbeginn geleistet werden, belasten die Lebensversicherungsunternehmen die Versicherungsnehmer bei ihren kapitalbildenden Produkten in der Regel ebenfalls stark frontlastig mit Kosten. Das bedeutet, dass die Anbieter in den ersten Vertragsjahren einen überproportional großen Teil der Beiträge zur Kostendeckung einbehalten und dieser somit nicht in das Vertragsguthaben der Kunden fließt.“
Liane und Christoph Kirchenstein, die vom schweizerischen Baar aus die Informationsplattform Vertragshilfe24 betreiben, kennen die Problematik nur zu gut. Sie beraten die Besitzer von unrentablen Renten- und Lebensversicherungsprodukten über die vermögensfreundlichsten Ausstiegsmöglichkeiten. Mit starken Argumenten raten sie vom Verkauf oder der Kündigung der Verträge ab, weil der Kunde damit auf eine ganze Reihe von geldwerten Ansprüchen gegenüber der Versicherung verzichtet. Stattdessen empfehlen sie die professionelle Rückabwicklung der Lebensversicherungen, die längst nicht mehr das halten, was sie einst versprochen haben. Mit diesem Ansatz winkt deutlich mehr Geld als nur der aktuelle Rückkaufswert. Die Anbieter von Lebensversicherungen haben immer mit der solide anmutenden Kombination aus Risikoabsicherung und Renditeerzielung geworben. Aber das funktioniert seit der langen Niedrigzinsphase nicht mehr. „Zu hohe Kosten, zu geringe Rendite und ausbleibendes Neukundengeschäft führen zu Unsicherheit“, analysiert Christoph Kirchenstein. „Es ist keine Seltenheit mehr, dass die Auszahlungen weit hinter den Ankündigungen der Anbieter und den Bedürfnissen der Versicherten zurückbleiben. Zu geringe Auszahlungen sind nicht nur ärgerlich, sondern können existenzbedrohend sein.“ Damit spielt der Finanzprofi auf die Lebensversicherung als tragendes Element der Altersvorsorge an, dassie eigentlich sein sollte.
Vertragshilfe24 versteht sich Verbraucherschutzportal und will dementsprechend niedrigschwellig beim Ausstieg aus unwirtschaftlich gewordenen Lebensversicherungen helfen. Die Abwicklung eines Vertrages ist die einzige Chance, fair an den Beiträgen beteiligt zu werden, die man selbst jahrelang geleistet hat. Um zu erfahren, ob der eigene Renten- oder Lebensversicherungsvertrag dafür geeignet ist, bietet das Kirchenstein-Team via Online-Rechner eine kostenlose Vertragsprüfung an. Bei einem positiven Ergebnis wird der Versicherungsnehmer innerhalb von 72 Stunden vom Ansprechpartner eines angeschlossenen Dienstleisters für ein unverbindliches Gespräch kontaktiert. Beim Rückabwicklungsverfahren wird die Auszahlung von 75 Prozent des Rückkaufswertes innerhalb von 18 Tagen und die anschließende Durchsetzung aller Ansprüche zugesichert. Zur Realisierung von Mehrerlösen werden nötigenfalls Gutachten eingeholt sowie Klagen oder gerichtliche Vergleiche angestrengt.
Verlustrisiken und andere Fallstricke lauern noch bei anderen Verwendungszwecken von Lebensversicherungen. Erfolgswillige Unternehmen müssen immer expandieren und investieren. Dafür gibt es Gewerbedarlehen in Verbindung mit Lebensversicherungen, deren Risiken aber häufig unterschätzt werden. Ein Modell der Gewerbedarlehen ist die Tilgungsaussetzung während der Laufzeit eines Finanzierungsproduktes. Dadurch sind im Betrieb erst einmal mehr liquide Mittel verfügbar. Wenn die Auszahlungen der Lebensversicherung überdies die Tilgung übernehmen, müssen hierfür – mit positiven steuerlichen Auswirkungen – keine Rücklagen gebildet werden. „Zeitgleich mit Inanspruchnahme des Kredits wird eine Lebensversicherung abgeschlossen“, erläutert Christoph Kirchenstein. „Die Unternehmen zahlen für ihr Darlehen während der Laufzeit die anfallenden Zinsen, tilgen jedoch nicht. Dies erfolgt zum Ende der Laufzeit mit den Auszahlungen aus der Lebensversicherung.“
Wenn die aber immer geringer werden oder ganz ausfallen, wankt das Fundament der Unternehmensfinanzierung. Laut dem Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) haften Entscheider und Berater unter Umständen persönlich, wenn einem Unternehmen durch ihre falsche Risikoeinschätzung ein finanzieller Schaden entsteht. „Im Falle einer Absicherung der Tilgung mit einer Lebensversicherung kann dies zutreffen, falls nachweisbar ist, dass die Verantwortlichen das Risiko einer zu geringen Auszahlung der Lebensversicherung nicht richtig bewertet haben“, warnen die Experten von Vertragshilfe24. Wie Privatpersonen sollten sich Unternehmen sehr genau überlegen, ob sie eine Lebensversicherung einfach kündigen und damit auf alle Ansprüche verzichten, die über den aktuellen Rückkaufswert hinausgehen. Auch bei Problemen mit der Lebensversicherung als Tilgungsaussetzer liegt die Rückabwicklung nahe.