Über Ghana wollte der hessische Drohnenbauer Wingcopter ans große Geschäft kommen.
Über Ghana wollte der hessische Drohnenbauer Wingcopter ans große Geschäft kommen.


Weiterstadt – „Wir wollen Gutes tun und die Welt zu einem besseren Ort machen“, so pathetisch formuliert Tom Plümmer auch im Namen von Jonathan Hesselbarth die Motivation der gemeinsamen unternehmerischen Tätigkeit. „Wir schaffen effiziente und nachhaltige Drohnenlösungen, um Leben zu retten und zu verbessern.“ Die ehemaligen Darmstädter Studenten haben mit ihrer 2017 gegründeten Wingcopter GmbH eine spezielle Transportdrohne entwickelt, die beispielsweise Impfstoffe, Medikamente und Blutkonserven schnell, kostengünstig und nachhaltig ans Ziel bringen kann. Ihre Lieferdrohne nennen die beiden Start-up-Geschäftsführer aus Weiterstadt eingängig „Wingcopter 198“. Den Namen hält Entwickler Hesselbarth fast für selbsterklärend: „Die Drohnen, die wir bisher kennen, haben entweder keine Flügel oder keine Propeller zum Senkrechtstarten. Wir kombinieren beide Elemente.“ Dadurch können die Flugvehikel gleichzeitig senkrecht starten und haben eine hohe Reichweite, wodurch sie sich für schnelle Lieferdienste im ländlichen Raum eignen.

Das Fluggerät verfügt über acht Propeller, wiegt bei einer Spannweite von 1,98 Metern nur 25 Kilogramm und soll eine Reichweite bis zu 110 Kilometern bei einer Höchstgeschwindigkeit von 145 Kilometern pro Stunde erreichen. Um die Betriebssicherheit selbst bei einem Ausfall des Antriebsstrangs zu gewährleisten, werden acht Motoren, acht ESCs und zwei Batterien verwendet. Der Wingcopter kann Ladung bis maximal sechs Kilogramm transportieren und kommt nach Herstellerangaben mit voller Auslastung immer noch 75 Kilometer weit. Während eines einzigen Fluges können bis zu drei Einzelpakete mit einem Gesamtgewicht von fünf Kilogramm an mehrere Orte geliefert werden. Die Transportdrohne wechselt bei jedem Lieferstopp vom Vorwärtsflug- in den Schwebemodus und senkt das Paket in wenigen Sekunden ab. Durch die Vollautomatisierung des ganzen Prozesses sinken die Lieferkosten bei zeitgleicher Erhöhung der Routeneffizienz. Kostenreduzierend wirkt auch die hochmoderne Wartungstechnologie, die ungeplante Ausfallzeiten vermeidet und so die Einsatzbereitschaft der ganzen Flotte sicherstellt.

Zur Bedienung der Drohne haben sich die Tüftler aus dem südhessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg mehrere Optionen einfallen lassen: möglich ist die Steuerung über die Mobilfunk-Standards 3G, 4G und 5G sowie über das Satellitenkommunikationssystem Iridium. Der Wingcopter 198 – die Zahl bezieht sich auf die Spannweite von 198 Zentimetern – ist mit zwei Fluggeschwindigkeitssensoren, zwei Steuerkurs- und Positionierungssystemen sowie zwei Flugsteuerungen ausgestattet. Diese innovative Systemarchitektur garantiert eine unterbrechungsfreie Dauerkontrolle über das Flugzeug. Dank einer speziellen Kontrollstationssoftware kann eine einzige Person bis zu 10 Drohnen gleichzeitig von entfernten Standorten aus steuern und überwachen. Komplementär sorgt eine neuartige Leitstellensoftware für eine professionelle Einsatzplanung, Flugzeugsteuerung und Betriebsüberwachung, um die Arbeitsabläufe des Drohnenpiloten und des Logistikdienstleisters zu optimieren. „Unser Ziel war von Anfang an, die Lieferung auf den letzten Metern deutlich zu verbessern, also dort, wo die Medikamente auch tatsächlich gebraucht werden“, betont Plümmer.

2021 wurde bekannt, dass der Wingcopter 198 in den USA zum Einsatz kommen soll. Der US-Medizinflugdienst Spright erklärte, den Zugang zur Gesundheitsversorgung in ländlichen und unterversorgten Gemeinden verbessern zu wollen. Laut Medien soll er 16 Millionen Dollar in Wingcopter investiert haben. Spright-Präsident Joseph Resnik führte damals aus: „Wir haben das Glück, Wingcopter als unseren Flugzeugtechnologiepartner an Bord zu haben. Mit seinem branchenführenden eVTOL-Flugzeugdesign bringt Wingcopter einen Reifegrad mit, der erforderlich ist, um den komplexen und vielfältigen Anforderungen des US-amerikanischen Gesundheitsmarktes gerecht zu werden. Wir sind zuversichtlich, dass unsere kombinierten Stärken innovative Lösungen liefern, um die Bedürfnisse unserer Kunden und ihrer Gemeinden zu erfüllen.“ Den letzten Großauftrag vergab Spright jedoch an den Schweizer Hersteller Dufour, dessen Drohnen mit 40 Kilogramm wesentlich mehr Last transportieren können.

Im Sommer 2022 konnte sich die Wingcopter GmbH noch über einen erheblichen Zufluss von Investitionsmitteln freuen. Die Zentrale in Weiterstadt teilte mit, dass man 42 Millionen US-Dollar von renommierten Finanzinvestoren und strategischen Geldgebern eingesammelt habe: „Die neue Finanzierung ist Teil einer Serie-A-Verlängerungsrunde, die die gesamte Eigenkapitalbeschaffung des Unternehmens auf bisher mehr als 60 Millionen US-Dollar verdreifacht. Als neue Anteilseigner kamen der führende deutsche Einzelhändler REWE Group sowie die deutschen Investoren Salvia und XAI Technologies an Bord.“ Mit der erfolgreichen Finanzierungsrunde erwartete das deutsche Start-up, die Produktion des Wingcopter 198 hochfahren und seine Drohnen-Lieferdienste weltweit ausbauen zu können.

Doch zum Jahresende 2022 gibt es einen erneuten Rückschlag, der das Ende einiger Visionen bedeuten könnte. Laut Medienberichten wackelt ein Riesenauftrag aus Ghana, den die Drohnen-Pioniere im Frühjahr präsentierten. Im Mai hatte Wingcopter-Gründer Tom Plümmer verkündet, man habe sich den weltgrößten Zivilauftrag für ferngesteuerte Fluggeräte geangelt. Verteilt auf fünf Jahre werde ein neuer Partner aus der ghanaischen Hauptstadt Accra 12.000 hessische Drohnen bestellen, so der CEO. Der Auftragswert liege vermutlich bei mehreren Milliarden Euro. Das hätte das Unternehmen schlagartig an die Weltspitze der Drohnen-Start-ups katapultiert. „Nun allerdings setzt Ernüchterung ein. Das Vorhaben steht auf der Kippe. Stillschweigend hat Wingcopter auf seiner Website sämtliche Hinweise auf das Projekt gestrichen“, stellte die Tageszeitung „Welt“ dieser Tage fest. „Auch die Homepage des Gemeinschaftsunternehmens mit dem afrikanischen Partner Atlantic Trust ist leer.“

Auf direkte Nachfrage wollte sich Plümmer nicht äußern. Er ließ sich nur entlocken, dass Wingcopter nach weiteren Partnern und Investoren Ausschau halte. „Die bisherigen Investoren bleiben wohl an Bord, obwohl einige erst nach der Ankündigung des vermeintlichen Mega-Deals gewonnen wurden“, schrieb das Blatt. Wingcopter habe das Projekt im Frühjahr zu euphorisch vorgestellt, meinten einige Geldgeber, die das Start-up dazu drängten, den afrikanischen Partner einer gewissenhaften Prüfung zu unterziehen. Angesichts der gewaltigen Projektdimension wisse man über Atlantic Trust einfach zu wenig. Die „Welt“ resümierte: „Offiziell ist das Mega-Projekt noch nicht begraben. Allerdings stellen sich einige Investoren darauf ein, dass Wingcopter für seine Afrika-Pläne nun wohl andere Partner suchen muss.“ Die Fachmedien werden das sicherlich im Auge behalten.

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