von THOMAS PHILIPP REITER
Wenn man über Finanzsanktionen gegen Russland nachdenkt, ist die radikalste Option, das Land aus dem internationalen Zahlungssystem zu drängen. Der Schlüssel dazu befindet sich in La Hulpe/Terhulpen, einer wallonischen Ortschaft in der Wallonie, die für zwei Dinge bekannt ist: das Château Solvay und SWIFT.
Russland soll wegen des Einmarschs in die Ukraine von den internationalen Finanzmärkten abgeschnitten werden, kündigte Ursula von der Leyen in Brüssel an. Die Präsidentin der Europäischen Kommission gab damit auch erstmals einen Einblick in das Arsenal an Wirtschaftssanktionen, über das die Europäische Union gegen Russland verfügt. Die für Wladimir Putin schmerzhafteste Option besteht darin, Russland vom internationalen Zahlungsverkehr abzukoppeln. Diese finanzielle Atombombe befindet sich hier in Belgien, südlich des an Brüssel grenzenden Zonienwaldes. Die Gemeinde heißt La Hulpe (flämisch La Hulpe) und befindet sich genau auf der Sprachgrenze zwischen Wallonien und Flandern. Hier befindet sich die internationale Zentrale von SWIFT, einem Zusammenschluss von 11.000 Banken, die genau hier ihre gegenseitige Kommunikation rund um den Zahlungsverkehr abwickeln. SWIFT ist das Akronym für "Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication".
Ein Rauswurf aus SWIFT ist für Russland gefährlich
Wie bei allen nuklearen Optionen galt diese bislang als unwahrscheinlich. Doch dies ändert sich gerade und es ist auch nicht das erste Mal, dass erwogen wird, die Russen per SWIFT zu treffen. Bereits im April letzten Jahres verabschiedete das Europäische Parlament eine unverbindliche Resolution, in der gefordert wurde, Russland im Falle einer Invasion in der Ukraine aus dem Zahlungssystem zu werfen. Im August 2014, nachdem Russland die Krim annektiert hatte, verbreitete das Vereinigte Königreich dieselbe Idee noch einmal.
Doch Vorsicht ist geboten, denn der Schaden für die europäische Wirtschaft wäre groß. Darüber hinaus gehört SWIFT den Banken, nicht den Staaten. Die Genossenschaft fällt unter belgisches Recht und muss der europäischen Gesetzgebung entsprechen. Wenn die Europäische Union jedoch den Zahlungsverkehr mit Russland verbietet, muss sich SWIFT an dieses Verbot halten. Bislang kam es nicht dazu. Doch die Drohung wurde so ernst genommen, dass der russische Finanzminister Alexej Kudrin damals offiziell einlenkte. Militärische Logik lehrt also auch, dass eine solche Abschreckung allein in einem Konflikt schon nützlich sein kann. Und so ist das Szenario jetzt, nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, noch etwas wahrscheinlicher geworden. Doch wie so häufig, sind sich die EU-Mitgliedsstaaten bislang uneinig.
Was passiert, wenn Moskau von La Hulpe aus der Finanzkrieg erklärt wird?
Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig zu wissen, wie SWIFT funktioniert. Die Institution leistet selbst keine Zahlungen und lässt sich am besten als "Finanztelekommunikationsunternehmen" beschreiben. Sie gibt die Informationen über Zahlungen zwischen Banken weiter, so wie es die "SWIFT" abgekürzte Bezeichnung besagt: "Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication", also "Gesellschaft für weltweite Finanz-Telekommunikation zwischen Banken".
Angenommen also, ein Belgier kauft etwas online in einem deutschen Second-Hand-Laden. Für die Zahlung nimmt er eine Überweisung über seine Bank vor. Diese informiert die deutsche Bank des Verkäufers via SWIFT mit einer verschlüsselten Standardnachricht über den Zahlungseingang. Die beiden Banken arrangieren dann die Zahlung untereinander, woraufhin die deutsche Bank das Geld auf das Konto des Verkäufers überweisen kann.
SWIFT tut dies für 11.000 Banken auf der ganzen Welt, von denen jede ihren eigenen achtstelligen Code hat. Sie befinden sich auf der Rückseite einer jeden Bankkarte und wecken zumeist auch Erinnerungen an die Geschichte der Bank. Der Code meiner Hausbank KBC lautet KREDBEBB: Die ersten vier Buchstaben beziehen sich auf die frühere Kredietbank, BE steht für Belgien, BB für Brüssel. Der SWIFT-Code der "Hamburg Commercial Bank" verweist klar auf die Historie als "HSH-Nordbank" und ihren Sitz in Hamburg (HH): HSHNDEHHXXX (XXX steht für den jeweiligen Filialcode).
Finanzsanktionen treffen aber auch diejenigen, die sie entlassen. Russland aus SWIFT zu werfen bedeutet, dass Informationen über Zahlungen nicht mehr auf diesem Weg weitergegeben werden. Das bedeutet nicht, dass der Zahlungsverkehr mit dem Land damit komplett zum Erliegen kommt. Seit Großbritannien 2014 damit drohte, Moskau finanziell abzukoppeln und die Vereinigten Staaten den Visa- und Mastercard-Verkehr für einige russische Banken blockierten, hat die russische Zentralbank ein eigenes Zahlungssystem entwickelt.
Dieses steht jedoch in starkem Kontrast zum Giganten von La Hulpe. Lediglich 400 Banken sind an das russische System angeschlossen, 27 mal weniger als bei SWIFT. Es verhindert vor allem, dass die Binnenwirtschaft in Russland zum Erliegen kommt. Für den internationalen Handel wäre dies jedoch ein schwerer Schlag. Als 2014 die Gefahr bestand, dass SWIFT-Verbindungen gekappt werden könnten, sagte Finanzminister Kudrin, dass dies die russische Wirtschaft um fünf Prozent schrumpfen lassen könnte.
Dass letztlich nichts passiert ist, liegt daran, dass der Finanzriese aus La Hulpe nicht nur ein verlängerter Arm der NATO oder der europäischen Verteidigungsminister ist. SWIFT ist ein Genossenschaftsunternehmen mit Banken, Versicherungen und Finanzinstituten als Gesellschafter. Sie versucht, neutral zu sein. SWIFT tut dies, indem es in die Stille des belgischen Zonienwaldes gehüllt ist. Niemand kann oder will genau sagen, wie viele Menschen am Standort La Hulpe arbeiten oder wo sich die Rechenzentren befinden. Es gibt auch keine Öffentlichkeitsarbeit oder Presseabteilung. Die einzige – anonyme – Antwort, die die Institution über eine Kommunikationsagentur zur aktuellen Situation geben will, beschränkt sich auf zwei Sätze: „SWIFT ist eine neutrale globale Genossenschaft, die für das gemeinsame Wohl ihrer 11.000 Institutionen in 200 Ländern arbeitet. Jegliche Entscheidung über die Verhängung von Sanktionen gegen Länder oder einzelne Institutionen kann nur von den zuständigen Regierungsstellen und Parlamenten getroffen werden.“
Diese letzten Worte zeigen, wie die Dinge laufen. Wenn die Regierung den Zahlungsverkehr mit einem Land oder einer Bank verbietet, muss sich SWIFT an das Gesetz halten. Da sich der Hauptsitz in La Hulpe befindet, entscheidet der belgische oder europäische Gesetzgeber.
Finanzgigant im Zonienwald
Ein paar Zahlen über SWIFT stehen jedoch im Raum (Quelle: De Tijd):
- SWIFT hatte Ende 2020 3.300 Mitarbeiter, ein Wachstum von einem Viertel in vier Jahren.
- Das Unternehmen erzielte 2020 einen Umsatz von 905 Millionen Euro.
- Es machte einen Gewinn von 35 Millionen Euro.
- SWIFT verarbeitete im vergangenen Jahr durchschnittlich 42 Millionen verschlüsselte Finanznachrichten pro Tag.
- Es wurde 1973 gegründet und hat seinen Hauptsitz in La Hulpe. Das Institut fällt damit unter belgisches Recht.
- SWIFT ist eine Genossenschaft mit 11.000 Banken aus mehr als 200 Ländern als Anteilseigner. Sie wird von zehn nationalen Banken beaufsichtigt, darunter die Europäische Zentralbank und die Belgische Nationalbank.
In den eigenen Fuß schießen?
Eine wirtschaftliche Störung via SWIFT würde im Falle Russlands in beide Richtungen schaden. Laut Daten von Flanders Investment & Trade exportierten flämische Unternehmen im Jahr 2020 Waren im Wert von 3,5 Milliarden Euro nach Russland. Ein Drittel sind Medikamente. In die entgegengesetzte Richtung wurden 5 Milliarden Euro gekauft, wovon die große Hälfte auf Öl und Gas entfiel.
Gerade Deutschland ist stark abhängig vom Import russischer Energie. In Finnland, Griechenland und Bulgarien gehen mehr als zehn Prozent der Exporte nach Russland, wie Daten des Think Tank Brueghel zeigen. Europäische Banken mit bedeutenden Aktivitäten in Russland sind Société Générale, Raiffeisenbank und Unicredit. Auch deshalb hat Bundeskanzler Olaf Scholz deutlich gemacht, warum er gegen eine russische Abkopplung von SWIFT ist.
Diese deutsche "Zurückhaltung" schränkt einmal mehr die politische Beweglichkeit ein. Zudem könnte sich SWIFT durch die Abkoppelung Russlands selbst ins Knie schießen. Der Ausschluss des Landes würde die Kernaufgabe von SWIFT – ein weltweit vertrauenswürdiges Netzwerk – ernsthaft beeinträchtigen. Während Moskau 2014 die Drohung des Ausschlusses ergriff, um ein alternatives System aufzubauen, könnte es im Falle eines neuen Konflikts versuchen, dieses System regional oder international auszuweiten und mit dem chinesischen Zahlungssystem zu verknüpfen.
Finanzsanktionen treffen immer auch diejenigen, die sie entlassen. Das gilt auch für eine finanzielle Atombombe, die Moskau von La Hulpe aus treffen könnte: Der Fallout würde in den Zonienwald niedergehen.